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Arbeitsrecht: Kann ein Geschäftsführer als Arbeitnehmer eingeordnet werden?

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 9.7.2015 – C-229/14 ECLI:EU:C:2015:455

Hintergrund

Bei der Rechtssache „Balkaya“ vor dem Europäischen Gerichtshof handelte es sich um ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, welches durch das Arbeitsgericht Verden vorgelegt wurde.

Verfahrensbeteiligte waren Herr Balkaya und eine deutsche GmbH, welche Herrn Balkaya und einigen anderen Arbeitnehmern im Jahre 2013 gekündigt hatte. Diese Kündigungen erfolgten jedoch ohne eine vorherige sogenannte Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit.

Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist ein Arbeitgeber verpflichtet, bei einer Entlassung von mehr als fünf Arbeitnehmern in einem Betrieb von mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern zuvor der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten.

Dies ist vorliegend nicht geschehen, wobei die Erforderlichkeit dieser Anzeige zwischen den Parteien strittig war. Strittig war somit insbesondere, ob die erforderliche Anzahl von 20 Arbeitnehmern erreicht wurde oder ob einzelne Arbeitnehmer der GmbH nicht eigentlich Geschäftsführer seien. Fraglich war vor allem, ob ein in der GmbH arbeitender Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer gelten würde. Ein Fremdgeschäftsführer nimmt Aufgaben eines Geschäftsführers einer GmbH wahr, jedoch ohne selbst Gesellschafter dieser GmbH zu sein.

Der Europäische Gerichtshof entschied nun zu der Frage, ob ein Fremdgeschäftsführer auch ein Arbeitnehmer sein kann und bejahte dies.

Gründe

Auf unionsrechtlicher Ebene besteht keine festgelegte Definition eines Arbeitnehmers, vielmehr wird diese entweder einzelfallbezogen oder mit Rückgriff auf eine nationale Definition beschrieben.

In dem vorliegenden Verfahren definierte der Europäische Gerichtshof einen Arbeitnehmer als den, der während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen gegen eine Vergütung erbringt. Bei einem Geschäftsführer sei zusätzlich das Merkmal eines Über- und Unterordnungsverhältnisses gegenüber der betreffenden Gesellschaft zu prüfen.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass bei einem Fremdgeschäftsführer ein solches Unterordnungsverhältnis gegeben ist. Ein Fremdgeschäftsführer wird von der Gesellschafterversammlung bestellt, unterliegt deren Weisungen und deren Aufsicht und kann jederzeit wieder entlassen werden. Außerdem stehen einem Fremdgeschäftsführer gerade keine Gesellschaftsanteile zu, da er nicht Gesellschafter ist.

Auch wenn einem Fremdgeschäftsführer, verglichen mit anderen Arbeitnehmern, mehr eigener Ermessens- und Entscheidungsspielraum zusteht, so ist er gegenüber der Gesellschafterversammlung dennoch in gleicher Weise wie ein Arbeitnehmer abhängig und weisungsgebunden. Im Gegensatz dazu würde einem regulären Geschäftsführer ein bestimmender Einfluss gerade auch bezüglich der Gesellschafterversammlung zustehen, wodurch das Überordnungsverhältnis begründet würde.

Bewertung

In der deutschen Gerichtsbarkeit ist immer wieder fraglich, ob ein Geschäftsführer Arbeitnehmer sein kann. Das Bundesarbeitsgericht definiert dabei einen Arbeitnehmer als den, der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist und verneint die Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers dann mit dessen mangelnder Weisungsgebundenheit.

Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof beschreibt durch die „Balkaya“-Entscheidung nun eine andere Entwicklung ab, indem auch ein Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer gelten kann. Interessant ist nun vor allem, ob diese Rechtsprechung sich auch auf das nationale Verständnis des Arbeitnehmerbegriffs auswirken kann und nationale Vorschriften zum Arbeitnehmerschutz nun im Lichte dieser unionsrechtlichen Rechtsprechung auszulegen sind.

Relevant für die Auslegung des Begriffs des Arbeitnehmers auf nationaler Ebene nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist vor allem, ob die jeweilige nationale Gesetzesregelung auf unionsrechtlichen Vorgaben beruht. Wird dies verneint, so kann nur der nationale Arbeitnehmerbegriff und nicht der unionsrechtliche einschlägig sein.

Die deutsche Rechtsprechung legt etwa eindeutig hinsichtlich der Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes, des Entgeltsfortzahlungsgesetzes, des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, des Nachweisgesetzes, des § 613a BGB und des Zugangs zu den Arbeitsgerichten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz ausschließlich den nationalen Arbeitnehmerbegriff zugrunde. Soweit in diesen Gesetzen ein Arbeitnehmer in Rede steht, kann ein Fremdgeschäftsführer also nicht unter diese Regeln fallen.

Teilweise wird der Arbeitnehmerbegriff jedoch im Lichte der „Balkaya“-Entscheidung unionsrechtlich ausgelegt. So wird etwa im Rahmen der im vorliegenden Fall relevanten Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG oder des § 2 Bundesurlaubsgesetzes eine Anwendung auf den Fremdgeschäftsführer bejaht.

Hinsichtlich einiger anderer nationaler Regelungen ist jedoch nicht eindeutig bestimmbar, ob diese auch den Fremdgeschäftsführer miteinbeziehen.

Die im deutschen Recht vorherrschende Trennung von Organstellung und Arbeitnehmerstellung ist der maßgebliche Grund für die inhaltliche Diskrepanz zwischen dem nationalen und dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff. Daher wird die Stellung eines Fremdgeschäftsführers vermutlich auch in Zukunft nicht eindeutig nach dem nationalen und unionsrechtlichen Verständnis einheitlich als die eines Arbeitnehmers eingeordnet werden können.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

„Unsere Fachanwälte in Bonn betreuen seit vielen Jahren sowohl Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite zu allen entscheidenden arbeitsrechtlichen Fragen. Lesen Sie mehr zu den Tätigkeitsschwerpunkten unserer Kanzlei unter www.rnsp.de.“

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