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Arbeitsrecht: Einreichung von Papierschriftsätzen in der mündlichen Verhandlung

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 06.07.2022 – 8 Sa 1149/20

Hintergrund

Die Beklagte hatte im Termin vom 06.07.2022 einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt. Die Antragstellung war nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz möglich. Aufgrund dieser Sonderregelung bedurfte die Antragstellung weder der Einwilligung der Gegenseite noch der Zulassung durch das Gericht gem. §§ 263, 533 ZPO. Der Umstand, dass die Beklagte ihren Schriftsatz vom 06.07.2022 unter Verstoß gegen § 46g Satz 1 ArbGG im Termin vom gleichen Tage ausschließlich in Papierform eingereicht hatte, stand der Berücksichtigung ihrer in diesem Schriftsatz enthaltenen Begründung für den Auflösungsantrag nicht entgegen.

Gründe

Das Gericht führte hierzu aus, dass „vorbereitende Schriftsätze“ iSd. § 46g Satz 1 ArbGG bzw. des im Wesentlichen inhaltsgleichen § 130d S. 1 ZPO nach zutreffender Ansicht alle Schriftsätze sind, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht oder übergeben werden. Daher sind auch im Termin übergebene Schriftsätze vom Wortlaut des § 46g S. 1 ArbGG erfasst, der ohnehin sehr weit verstanden wird. Das Gericht war der Meinung, dass, würde man davon ausgehen, dass in der Situation der mündlichen Verhandlung Papierschriftsätze nicht formwirksam eingereicht werden können, dies eine Einschränkung der prozesstaktischen Handlungsmöglichkeiten nach sich ziehe, die vom Zweck der beA-Nutzungspflicht nicht mehr gedeckt wäre. Mit deren Einführung sollte die überfällige Digitalisierung der Rechtspflege gefördert und die Einführung elektronischer Akten durch Vermeidung von Medienbrüchen erleichtert, nicht aber in die Handlungsmöglichkeiten der Parteien und ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung eingegriffen werden, die nach wie vor den Kern jedes zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens darstellt.

Im Weiteren führte das Gericht aus, dass es mit diesem Zweck ohne Weiteres vereinbar sei, jedenfalls zur Begründung von erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsanträgen die Übergabe von Papierschriftsätzen zuzulassen, auch wenn diese dann nach Maßgabe des § 46e ArbGG durch das Gericht in die elektronische Form übertragen werden müssten. Die berechtigten Interessen und Prozessrechte der Parteien überwiegen in diesem Fall das Interesse der Gerichte an einer Vermeidung von Medienbrüchen. Die zur Digitalisierung nach § 46e ArbGG erforderliche Infrastruktur müssten die Gerichte bei Einführung elektronischer Akten wegen des derzeit nicht vermeidbaren weiteren Papieraufkommens (zB Zustellungsurkunden, Einreichungen durch Naturalparteien) im Arbeitsgerichts- und Zivilprozess ohnehin schaffen und vorhalten.

Bewertung

Das Gericht stellt selbst fest, dass die ausnahmsweise Digitalisierung von in der mündlichen Verhandlung übergebenen Anwaltsschriftsätzen eine hinnehmbare Mehrbelastung bzw. konkret eine hinnehmbare Verminderung der mit § 46g ArbGG geschaffenen Reduzierung von Medienbrüchen für die „eAkten-Gerichte“ darstellt. Das Gericht kann im Übrigen entsprechend § 46g S. 4 Hs. 2 ArbGG in einem solchen Fall die unverzügliche Nachreichung des betreffenden Schriftstücks in elektronischer Form anfordern. Mithin spricht eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Prozessparteien für eine teleologische Reduktion der Vorschrift, die im Termin übergebene Schriftsätze von deren Anwendungsbereich ausnimmt.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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