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Medizinrecht: Krankenkasse muss für Transplantationen zahlen

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.01.2022 – L 16/4 KR 506/19, Pressemitteilung vom 31.01.2022

Hintergrund

Der verhandelte Fall basiert auf dem „Göttinger Organspendeskandal“. Vor zehn Jahren sorgte ein im Universitätsklinikum Göttingen tätiger Arzt dafür, dass einige seiner Patienten auf der Warteliste für eine Spenderleber weiter nach oben rückten. Er meldete bewusst falsche Angaben an die Vergabestelle Eurotransplant, die eine höhere Dringlichkeit der Transplantation suggerierten.

Daraufhin wurde gegen den Arzt ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags in elf Fällen zum Nachteil der auf der Warteliste nach unten gerückten Patienten eröffnet. Mangels Tötungsvorsatz wurde der Arzt jedoch freigesprochen.

Wegen des Prozesses saß der Arzt fast ein Jahr in Untersuchungshaft, wodurch ihm ein lukratives Jobangebot in Jordanien entging. Nach dem Freispruch verlangte er dafür Schadensersatz. Das Land Niedersachsen wurde zu einer Zahlung von 1,1 Millionen Euro verurteilt.

Nun klagte eine gesetzliche Krankenkasse, die für die Transplantationen, die von jenem Arzt durchgeführt wurden, rund 157.000 Euro an die Uniklinik Göttingen gezahlt hatte. Die Krankenkasse forderte den Betrag zurück, da der Arzt formell gegen das Transplantationsgesetz verstoßen habe und die Durchführung der Transplantationen somit rechtswidrig gewesen sei.

Die Uniklinik Göttingen führte hingegen an, dass die Transplantationen selbst medizinisch notwendig waren und fachgerecht durchgeführt wurden. Durch das kurzfristige Organangebot sei den Patienten das Leben gerettet worden. Außerdem habe die Klinik keine Kenntnis vom Fehlverhalten des Arztes gehabt.

In erster Instanz gab das Sozialgericht Hildesheim der Krankenkasse Recht. Das Landessozialgericht trat dieser Auffassung nun entgegen und gab der Uniklinik Recht.

Gründe

Die Transplantationen seien medizinisch indiziert gewesen und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden, unabhängig davon, dass der Arzt falsche Angaben machte.

Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entstehe durch Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten bei Durchführung entsprechender Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Auch das Transplantationsgesetz steht dem nicht entgegen. Dessen Schutzzweck sei die Organisation und gerechte Verteilung der Organspenden, nicht die Qualitätssicherung der Transplantation. Nur die Qualität kann Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch haben.

Eine „Ahndung“ des falschen Verhaltens des Arztes durch die Rückforderung der Leistungen und damit einem Gerechtigkeitsempfinden Genüge zu tun, sei nicht Aufgabe der Krankenkasse.

Bewertung

Mit dem Urteil richtet das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen sehr klare Worte an die Krankenkasse. Richtigerweise ist der Zahlungsanspruch des Universitätsklinikums getrennt von dem vorangegangenen Skandal zu betrachten.

Der Senat hat die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen. Eine endgültige Klärung bleibt damit abzuwarten.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht und Sozialrecht

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