Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20
Hintergrund
Bei den Beteiligten handelt es sich um die Betreiber einer vollstationären Wohneinrichtung zur Eingliederungshilfe (Beklagte) und den dortigen Betriebsrat (Kläger), die sich über die Gestaltung und Aufzeichnung der Arbeitszeit der Beschäftigten stritten.
2018 wurde eine Einigung hinsichtlich der Arbeitszeit erzielt und in der Betriebsvereinbarung festgelegt. Auf welche Art und Weise die Arbeitszeit dokumentiert werden soll, darüber blieben die Parteien uneinig. Von der Beklagten war bereits eine „Rohfassung der Zeiterfassung“ erstellt worden und die dazu gehörigen technischen Vorrichtungen wurden angeschafft. Dennoch brach der Arbeitgeber die Verhandlungen zu dem Vorhaben im Mai 2018 wieder ab.
Infolgedessen strebte der Betriebsrat gerichtlich die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung an. Der Arbeitgeber sprach der Einigungsstelle dafür jedoch die Zuständigkeit ab, da dieses Gremium nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kein Initiativrecht bei der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen i.S.d § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG habe. Daraufhin wurde das Einigungsstellenverfahren ausgesetzt, um die Zuständigkeit zu klären.
In der ersten Instanz entschied das Arbeitsgericht Minden für den Arbeitgeber und sprach der Einigungsstelle keine Regelungskompetenz zu. Das Landesarbeitsgericht Hamm gab dem Betriebsrat nun in der zweiten Instanz Recht.
Gründe
Es ist generell anerkannt, dass dem Betriebsrat im Sinne eines Mitbestimmungsrechts grundsätzlich auch die Initiative zukommen kann, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen. Diese Grundsätze sind auch auf die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung übertragbar.
Des Weiteren hat der Gesetzgeber im Rahmen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in § 87 BetrVG einzelne Sachverhalte absichtlich eingeschränkt, sodass dort lediglich die Form- und Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig sind, nicht aber die Entscheidung selbst. Dort findet sich folgerichtig auch kein Initiativrecht des Betriebsrats. Hinsichtlich der Einführung technischer Überwachungseinrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wurde eine solche Einschränkung hingegen nicht vorgenommen. Im Gegenteil: dort ist die Einführung betreffender Einrichtungen ausdrücklich genannt. Daraus folgt, dass dem Betriebsrat bei diesem Mitbestimmungsrecht ein Initiativrecht zusteht.
Die Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht wurde bereits zugelassen.
Bewertung
Ein erzwingbares Initiativrecht zur Einführung technischer Überwachungseinrichtungen vereinfacht es dem Betriebsrat, seinen Aufgaben hinsichtlich der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften über Höchstarbeitszeiten, Pausenzeiten etc. nachzukommen.
Die Konsequenz wäre, dass betriebsintern umfassende Regelungen über Überstundenvergütung und Mehrarbeit getroffen werden müssen, sollte das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung in dieser Frage ändern.
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