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Arbeitsrecht: Keine Aussagekraft des EuGH für die Darlegungslast in einem Überstundenprozess

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021 – 5 Sa 1292/20

Hintergrund

Die Parteien streiten zweitinstanzlich ausschließlich um Überstundenvergütung.

Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen, bei dem der Kläger als Auslieferungsfahrer tätig ist. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch Kündigung des Klägers zum 30.09.2019.

Der Kläger machte die Vergütung für 429 Überstunden in einem Zeitraum von 1,5 Jahren geltend. Die Beklagte erfasst die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter mittels technischer Aufzeichnung, bei der die Erfassung von Pausen durch die Auslieferungsfahrer nicht möglich ist. Der Kläger führt zudem an, er habe sich keine Pausen genommen, da er vielmehr nebenbei gegessen und geraucht hatte. Eine Pausennahme sei aufgrund der Art und Weise der Arbeit nicht möglich gewesen und er sei auch nicht von der Beklagten zu Pausen aufgefordert worden.

Dies bestritt die Beklagte mit der Begründung, der Kläger sei angewiesen worden, Pausen zu nehmen und habe solche gemacht. Darüber hinaus habe er sich zusätzliche Raucherpausen genommen.

Mit dem Teilurteil hat das erstinstanzliche Arbeitsgericht Emden der Überstundenklage des Klägers entsprochen, da die Beklagte zur Erfassung der Arbeitszeit in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH verpflichtet gewesen sei. Nach Auffassung der Beklagten handele es sich bei Erfassung der Ankunfts- und Verlassenszeit nicht um Arbeitszeiterfassung. Die Nichterfassung durch die Beklagte stelle demnach eine Beweisvereitelung dar, die zur Beweislastumkehr führe. Die Beklagte konnte das Vorbringen des Klägers jedoch nicht entkräften; die Behauptung zu den Pausenzeiten und den Raucherpausen sei unsubstantiiert.

Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung. Zur Begründung bringt sie wiederholt und vertieft vor, dass die technische Aufzeichnung die Arbeitszeit des Klägers nicht maßgeblich dokumentiere. Sie bestreitet zudem die behaupteten Arbeitszeiten, die über das vertragliche Maß hinausgingen. Darüber hinaus sei die traditionelle Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess verkannt worden, die zitierte EuGH-Entscheidung habe allein Aspekte des Arbeitsschutzes betroffen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat überwiegend Erfolg.

Das Berufungsgericht teilt nicht den Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts. Die zitierte Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 – C 55/18 – vermag die Regeln für die Darlegungs- und Beweislast in einem Überstundenprozess nicht zu modifizieren. Es fehlt dem EuGH insoweit die Kompetenz, die nationale Rechtsordnung zu ändern. Es gelten weiterhin die Grundsätze, die das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellt hat.

Überstunden müssen vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder notwendig sein. Den Arbeitnehmer trifft die Beweislast. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurde auch in späteren Entscheidungen trotz der zitierten Entscheidung des EuGH nicht aufgegeben.

Die EuGH-Entscheidung befasst sich allein mit Fragen des Arbeitsschutzes und der effektiven Begrenzung der Höchstarbeitszeit im Sinne eines Gesundheitsschutzes. Der EuGH ist mit seinen Kernaussagen über das Ziel hinausgeschossen, da es Sache der EU-Mitgliedsstaaten ist, eine derartige Richtlinie umzusetzen. Eine solche wurde bislang nicht in die nationale Rechtsordnung umgesetzt.

Die fehlende Kompetenz des EuGH zu Fragen der Arbeitsvergütung folgt letztlich unmittelbar aus Art. 153 Abs. 5 AEUV, der angibt, dass die Unterstützung und Ergänzung der Union nicht für das Arbeitsentgelt gilt.

Selbst wenn man im vorliegenden Fall unterstellt, der Kläger habe die behauptete Arbeitszeit tatsächlich geleistet, fehlt es an einer Anordnung, Billigung, Duldung oder Notwendigkeit. Im Übrigen halten die Mitglieder der Berufungskammer den Vortrag des Klägers, er habe keine Pausen gemacht, für lebensfern. Der Umstand, dass der Kläger keinerlei Pausen erfassen konnte, führt nicht zu der Schlussfolgerung, dass die zwischen Beginn und Ende der Arbeitszeit liegende Zeit auch tatsächlich Arbeitszeit ist.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht hat das Landgericht in ihrer Entscheidung zugelassen.

Bewertung

Neben dem mutigen Vortrag des Klägers, er habe bei einem wöchentlichen Arbeitspensum von mehr als 40 Stunden keinerlei Pausen eingelegt, fällt die beinahe gegensätzliche Auffassung des Berufungsgerichts zum erstinstanzlichen Gericht auf.

Das Landesarbeitsgericht folgt, wie viele andere Gerichte zuvor auch, nicht den Kernaussagen des EuGH, sondern orientiert sich weiterhin an der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Wie nun das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der zugelassenen Revision entscheiden wird, bleibt abzuwarten.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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