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Medizinrecht: Ist es wettbewerbswidrig, einen Generikahersteller und den Inhaber eines Arzneimittelpatents zu vergleichen?

EuGH vom 30.01.2020

Hintergrund

Es geht hierbei um die Frage, wann eine Vereinbarung zur gütlichen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Generikahersteller und dem Inhaber eines Arzneimittelpatents vom Verbot von Vereinbarungen und Verhaltensweisen fallen, das eine Wettbewerbseinschränkung bewirkt oder bezweckt (vgl. Art. 101 AEUV). Darüber hinaus geht es auch um die Frage, wann eine Vereinbarung dieser Art vom Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung (vgl. Art. 102 AEUV) betroffen ist.

Das Gericht für Wettbewerbssachen im Vereinigten Königreich reichte ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH ein. Dies betraf die Frage, ob eine Entscheidung hinsichtlich Vereinbarungen zur gütlichen Beilegung von Patentrechtsstreitigkeiten rechtmäßig ist. Im Vereinigten Königreich hatte die Behörde für Wettbewerbs- und Marktaufsicht Entscheidungen gegenüber dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline und verschiedene Generikahersteller erlassen.

Es ging hauptsächlich um den Wirkstoff des Antidepressivums Paroxetin. Der Pharmakonzern GSK war bis 1999 Inhaberin eines Patents für den Wirkstoff und Inhaberin von Sekundärpatenten für bestimmte Herstellung des Wirkstoffs. Einige Generikahersteller zogen 1999, als das Primärpatent auslief, in Betracht, generisches Paroxetin auf den Markt des Vereinigten Königreichs zu bringen.

GSK erhob Klagen wegen Verletzung seiner Patente gegen die Generikahersteller. Die Generikahersteller fochten daraufhin ein Sekundärpatent von GSK an. Es kam zu einer gütlichen Beilegung der Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Vereinbarungen zwischen den Generikaherstellern und GSK, in denen sich Generikahersteller dazu verpflichteten, über eine gewisse Dauer nicht selbst mit Generika am Marktgeschehen teilzunehmen, sofern GSK in diesem Zeitraum Zahlungen leistet.

Diese Vereinbarungen verstießen aus Sicht der Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde gegen das Kartellverbot. Es wurden Geldbußen gegen die Unternehmen verhängt, die an der Vereinbarung beteiligt waren. Begründet wurde dies damit, dass es seitens GSK zu einem Missbrauch ihrer gewichtigen Stellung auf dem Markt gekommen sei.

Gründe

Wird der Wettbewerb im Binnenmarkt eines Landes durch eine Vereinbarung spürbar eingeschränkt, die zwei Unternehmen gemeinsam treffen, unterliegt sie dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV.

Voraussetzung hierzu ist, dass zumindest ein potentieller Wettbewerb zwischen den betreffenden Unternehmen gegeben ist. Ist ein Generikahersteller noch nicht in den Markt eingetreten, wenn es zum Abschluss der Vereinbarung kommt, muss er beweisen, dass ein Markteintritt seinerseits tatsächlich konkret möglich gewesen wäre. Die Entscheidung darüber erfolgt demnach einzelfallabhängig. Es muss anhand der durch den Generikahersteller getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen festgestellt werden, ob seitens des Generikaherstellers der Entschluss feststand, in den Markt einzutreten. Hierzu muss er ohne Hilfe von außen in der Lage gewesen sein und es dürften keinerlei unüberwindliche Marktzutrittsschranken bestanden haben. Patente stellen insofern keine unüberwindlichen Marktzutrittsschranken dar, als dass sie aufgrund der Tatsache, dass sie angefochten werden können, nicht unüberwindlich sind.

Damit eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, muss die streitige Vereinbarung eine hinreichende Beeinträchtigung für den Wettbewerb darstellen. Diese ergibt sich aus dem Inhalt der Vereinbarungen, den mit ihnen verfolgten Ziele und ihrem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang.

Bei Arzneimitteln sinkt der Verkaufspreis deutlich, sobald Generika in den Markt eintreten. Es ist daher davon auszugehen, dass dahingehende Vereinbarungen eine hinreichende Wettbewerbsbeeinträchtigung darstellen, sofern die Wertübertragungen in Hinblick auf ihren Umfang nur durch das wirtschaftliche Interesse der Parteien der Vereinbarung an der Vermeidung von Leistungswettbewerb zu erklären sind und es auf diese Weise für Generikahersteller attraktiver ist, auf einen Markteintritt zu verzichten.

Als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen kommen auch wettbewerbsfördernde Auswirkungen der Vereinbarungen in Betracht, sofern sie als solche erwiesen sind. Dies ist allerdings nur hinsichtlich der Frage, ob eine hinreichende Wettbewerbsbeeinträchtigung besteht, der Fall.

Das nationale Gericht hat daraufhin zu prüfen, ob festgestellte, wettbewerbsfördernde Auswirkungen im Einzelfall für das Aufkommen begründeter Zweifel in Bezug auf eine hinreichende Wettbewerbsbeeinträchtigung ausreichen. Hierzu musst festgestellt werden, ob tatsächliche oder potenzielle Auswirkungen auf den Wettbewerbung durch die Vereinbarung erfolgten, wie sich der Markt ohne die Vereinbarungen verhalten hätte und über welche Struktur er verfügt hätte. Dabei muss nicht ermittelt werden, welcher Generikahersteller den Wettbewerb gewinnt oder einen weniger einschränkenden Vergleich schließt.

Ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung ist dann gegeben, wenn bei einem Arzneimittel auch Generika in den Produktmarkt einzubeziehen sind, wenn das Herstellungsverfahren des Arzneimittels nach wie vor durch ein Patent geschützt ist. Dies ist zu bejahen, wenn die entsprechenden Generikahersteller erwiesenermaßen in der Lage dazu sind, mit ausreichend Stärke in den Markt einzutreten. Sie müssen dabei ein Gegengewicht zum auf dem Markt vertretenen Arzneimittelhersteller darstellen, das ernstgenommen werden kann.

Zudem muss ein Eingriff in die Wettbewerbsstruktur des Marktes vorausgesetzt sein. Dieser muss über die Auswirkungen der einzelnen Vereinbarungen hinausgehen, die durch Art. 101 AEUV verboten sind. Auch sie können wettbewerbseinschränkende Auswirkungen nach sich ziehen. Ihr Ausschluss aus dem Markt kann daher eine erhebliche abschottende Wirkung entfalten, sofern er Teil einer entsprechenden Gesamtstrategie ist. Begründet wird dies dadurch, dass Verbrauchern die Vorteile des Markteintritts potenzieller Wettbewerber mit eigenem Arzneimittel nicht eröffnet werden. Der Markt bleibt somit nur für den Hersteller des Originalpräparats geöffnet. Dies ist gerechtfertigt, wenn durch das Unternehmen vorgewiesen wird, dass die wettbewerbswidrigen Auswirkungen durch Effizienzvorteile ausgeglichen werden können. Auch ein Übertreffen kommt hierbei in Betracht. Beides muss dem Verbraucher zugutekommen.

Es ist folglich die wettbewerbsfördernden Auswirkungen des betreffenden Verhaltens zu berücksichtigen. Hierbei wird keine Rücksicht auf die mit dem Verhalten verfolgten Ziele zu nehmen.

Bewertung

Es ging um die Entscheidung darüber, welche Voraussetzungen einen Verstoß einer Vereinbarung hinsichtlich der gütlichen Beilegung eines Rechtsstreits zwischen einem Generikahersteller und einem Inhaber eines Arzneimittelpatents gegen das EU-Wettbewerbsrecht nach sich ziehen.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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