Permalink

0

Medizinrecht/Arbeitsrecht: Rechtswidrigkeit einer Krankschreibung per WhatsApp auch bei Erkältung

LG Hamburg vom 03.09.2019 – 406 HK O 56/19

Hintergrund

Einem gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG klagebefugter Verein gehören die Ärztekammern Schleswig-Holstein und Hamburg an. Der Verein klagt gegen einen Anbieter, der angibt, für 9 € gültige Krankschreibungen über Erkältungen auszustellen. Diese werden von einem Telearzt ausgestellt, der mit der Beklagten zusammenarbeitet. Die Krankschreibung wird dem Kranken per Post und per WhatsApp zugeschickt.

Die Beklagte preist ihre Dienstleistung unter anderem damit an, dass der Kranke keine Zeit verschwendet, die er ansonsten in seine Genesung hätte investieren können, und damit, dass der Kranke niemandem in einem Wartezimmer anstecken kann.

Aus Sicht der Klägerin ist die von der Beklagten beworbene Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. eines AU-Scheins unlauter, wenn diese lediglich anhand einer Ferndiagnose vorgenommen wird. Durch diese Vorgehensweise würden die mit der Beklagten zusammenarbeitenden Teleärzte gegen § 7 Abs. 4 der Berufsordnung für Ärzte und gegen § 25 der Berufsordnung für Ärzte verstoßen. Zudem verstoße die Vorgehensweise gegen § 9 HWG.

Aus Sicht der Beklagten ist an der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf die von ihr beworbene Art und Weise nichts auszusetzen. Im Einzelfall könne der Telearzt mit dem Kranken per Telefonanruf oder Video-Chat in Kontakt treten. So könnten die Fragen des Kranken geklärt werden und der Kranke könnte mit dem Arzt Rücksprache halten.

Der Unterlassungsklage wurde vom Landgericht vollumfänglich stattgegeben.

Gründe

Gem. §§ 3, 3a UWG ist die Werbung unlauter. Der Beklagte wird gem. §§ 8, 12 Abs. 1 S. 2 UWG zur Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten verpflichtet.

Durch die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über Ferndiagnosen wird gegen die ärztliche Sorgfalt verstoßen. Gem. § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte sowie gem. § 25 der Hamburger Berufsordnung für Ärzte müssen Ärzte ihre ärztliche Überzeugung nach bestem Wissen aussprechen und mit der notwendigen Sorgfalt verfahren, wenn sie ärztliche Gutachten und Zeugnisse ausstellen. Mit diesen Vorgaben ist es nicht zu vereinbaren, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen regelmäßig ohne persönlichen Kontakt erteilt werden, auch wenn es sich bei der Erkrankung, um die es geht, lediglich um eine Erkältung handelt. Grundlage dafür ist auch die Tatsache, dass die Krankschreibung den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall begründet.

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die durch die Beklagte ausgestellt werden, machen sowohl Angaben zum Kranken als auch zur angeblichen Erkrankung. Für zuverlässige Feststellungen bezüglich der Person des Kranken und der Erkrankung selber ist die Einhaltung der ärztlichen Sorgfalt erforderlich. Diese wird bei Krankschreibungen vorausgesetzt. Ohne persönlichen Kontakt zum Patienten ist es nicht möglich, für die Sicherstellung der ärztlichen Sorgfalt zu sorgen. Es ist selbst dann nicht möglich, sichere Angaben zu machen, wenn der Arzt mit dem Kranken Rücksprache per Telefonanruf oder Video-Chat gehalten hat. Es ist nicht möglich, zuverlässige Feststellungen zu machen.

Die Schwere der Erkrankung kann ohne unmittelbar persönlichen Kontakt des Arztes zum Kranken nicht zuverlässig festgestellt werden. Es ist hierzu nicht ausreichend, über ein elektronisches Mittel mit dem Kranken Rücksprache zu halten.

Dabei darf nicht damit argumentiert werden, dass der unmittelbare persönliche Kontakt eines Arztes zu einem Kranken auf herkömmliche Art und Weise teils auch nicht der ärztlichen Sorgfalt entspricht. Auch hierbei liegt ein Verstoß gegen § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte vor. Hierdurch kann kein Verhalten gerechtfertigt werden, dass von Grund auf der ärztlichen Sorgfalt widerspricht.

Die Beklagte sorgt mit ihrer Art der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für eine fortgesetzte Verletzung der ärztlichen Sorgfalt, die von ihr sogar organisiert und bewirkt wird. Dies ist gem. § 3a UWG iVm § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte unlauter.

Es liegt zudem ein Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt vor, indem die Beklagte die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen organisiert und bewirbt. Die Krankschreibungen sind somit leichter zu erlangen als auf dem üblichen Weg, durch das Aufsuchen eines niedergelassenen Arztes. Somit kommt es zu einer wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers.

Bewertung

Es ist nicht möglich, per Telefonanruf oder Video-Chat einen zuverlässigen Eindruck bezüglich der Krankheit desjenigen zu erhalten, der den Anbieter kontaktiert. Der Anruf oder der Chat können stets von äußeren Eindrücken beeinflusst werden, die dafür sorgen, dass sich die Krankheit für den Arzt ganz anders darstellt, als sie tatsächlich ist.

Zudem ist es dem Arzt unmöglich, sicher festzustellen, ob es sich bei der Person, die angibt, unter einer Erkältung zu leiden, tatsächlich um die Person handelt, die sie zu sein vorgibt. Auch hier ist die sichere Feststellung nur durch unmittelbaren persönlichen Kontakt möglich.

Den Kranken würde der Erhalt einer Krankschreibung im Falle einer Erkältung deutlich leichtert gemacht werden. Der Besuch bei einem niedergelassenen Arzt würde überflüssig. Diese hätten daraufhin mit wirtschaftlichen Einbußen zu rechnen.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Lesen Sie mehr zu den Schwerpunkten unserer Anwaltskanzlei.

Ihre Meinung interessiert uns!

Hinterlassen Sie uns ihr Feedback und diskutieren Sie mit uns über aktuelle wirtschaftsrechtliche Fälle aus den Bereichen Arbeitsrecht, Medizinrecht, Marken- und Designrecht sowie weiteren Themen. Wir freuen uns auf Ihre Anregungen.

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.