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Arzthaftungsrecht: 500.000 Euro Schmerzensgeld wegen einer grob fehlerhaften Behandlung mit Solu-Decortin und Diclofenac

Oberlandesgericht Celle vom 10.08.2018 – 1 U 71/17 (OLG Celle PM Nr. 23/2019 vom 28.3.2019)

Hintergrund

Der Kläger litt bereits seit Jahren an Bandscheibenschäden. Wegen darauf zurückzuführenden akuten Rückenschmerzen suchte er seinen beklagten Hausarzt auf, welcher ihm binnen einer Woche viermal die Präparate Solu-Decortin und Diclofenac in die Gesäßmuskulatur injizierte. Einige Stunden später erlitt der Kläger daraufhin einen schweren septischen Schock, der ein multiples Organversagen und schließlich dauerhaft eine weitegehende Körperlähmung bewirkte. Es schloss sich ein mehr als ein Jahr andauernder dramatischer Leidensprozess an, während dessen der Patient ohne Aussicht auf eine Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden musste und am Ende dieses Leidensprozesses den ärztlich begleiteten Freitod wählte. Der Patient war verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern.
Die Witwe und ihre Kinder nahmen den Hausarzt wegen eines Behandlungsfehlers auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro als Erbengemeinschaft in Anspruch. Das Landgericht Lüneburg verurteilte den Arzt zu einem Schmerzensgeld von 500.000 Euro. Die gegen dieses Urteil von dem Hausarzt eingelegte Berufung hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Revision wies der Bundesgerichtshof zurück.

Gründe

Der Erbengemeinschaft des Patienten steht ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro zu.

Die intramuskuläre Injektion der konkret verabreichten Medikamente ist als grober Behandlungsfehler zu werten. Sie widerspricht sowohl dem fachlichen medizinischen Standard als auch den gängigen Leitempfehlungen. Es kommt nicht darauf an, ob der Patient vor Verabreichung der Injektion in diese eingewilligt hat, weil eine Einwilligung eine kontraindizierte Behandlung nicht rechtfertigen kann. Dass der dramatische Krankheitsverlauf ungewöhnlich und nicht vorhersehbar war, steht der Haftung des Hausarztes ebenfalls nicht entgegen.

Die Höhe des Schmerzensgeldes ist zudem angemessen. Das extreme Leiden des verstorbenen Patienten muss bei der Berechnung berücksichtigt werden. Dass sich dieser Leidensprozess über einen Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr erstreckt und nicht länger andauerte, rechtfertigt es nicht, ein geringeres Schmerzensgeld festzusetzen. Der Dauer des Leidens kommt wegen der besonderen Umstände des Todes des Patienten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes keine Bedeutung zu, denn dieser wählte den Freitod nur, um sein Leiden zu beenden.

Bewertung

Injiziert ein Arzt binnen einer Woche viermal die Präparate Solu-Decortin und Diclofenac, kann dies eine grob fehlerhafte Behandlung darstellen. Für einen Behandlungsfehler muss ein Verstoß gegen den ärztlichen Standard vorliegen. Die ärztlichen Sorgfaltspflichten ergeben sich aus dem jeweiligen, dem behandelnden Arzt bei zumutbaren Anstrengungen zugänglichen und verfügbaren Stand der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung. Der Arzt muss diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereiches vorausgesetzt und erwartet werden. Dies war vorliegend nicht der Fall. Die Injektion der Medikamente widersprach neben dem fachlichen Medizinstandard auch den üblich verbreiteten Leitempfehlungen. Zudem kommt es auf die Einwilligung des Patienten bei einer Behandlung, die sich durch das aufgezeigte Krankheitsbild des Patienten in jedem Fall verbietet, nicht an.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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