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Arzthaftungsrecht: Nicht-Sterbenlassen begründet keinen Anspruch auf Schadenersatz

Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.04.2019 – VI ZR 13/18, Pressemitteilung Bundesgerichtshof Nr. 40 vom 02.04.2019

Hintergrund

Der Vater des Klägers (Patient) litt an fortgeschrittener Demenz. Er war bewegungs- und kommunikationsunfähig. In seinen letzten beiden Lebensjahren traten Lungenentzündungen und eine Gallenblasenentzündung hinzu. Im Oktober 2011 verstarb er. Von September 2006 bis zu seinem Tod wurde der Patient mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Er stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Regelungen wie eine Patientenverfügung hatte der Patient nicht getroffen. Aus anderen Umständen war nicht ersichtlich, ob er lebenserhaltende Maßnahmen erhalten wollte.

Gerichtlich macht der Kläger geltend, dass die Ernährung Patienten mittels der PEG-Magensonde spätestens seit Anfang 2010 nur noch eine sinnlose Lebensverlängerung in Ansehung des Leidens des Vaters gewesen ist. Der Beklagte Arzt hätte dahinwirken müssen, dass das Sterben des Vaters zugelassen wird. Der Kläger begehrte aus dem von seinem Vater ererbten Recht (§ 1922 BGB) Schmerzensgeld und Ersatz für Behandlungs-und Pflegeaufwendungen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) sprach dem Kläger im Berufungsverfahren Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 EUR zu. Das OLG stellte in seiner Begründung darauf ab, das der Beklagte dahingehend seine Aufklärungspflicht verletzt habe, als dass er eine fortwährende künstliche Ernährung mittels der PEG-Magensonde mit dem betreuenden Rechtsanwalt hätte erörtern müssen. Dies habe der Beklagte unterlassen.

Der BGH stellte das landgerichtliche Urteil auf die Revision des Beklagten hin wieder her.

Gründe

Ein Anspruch auf Schmerzensgeld stehe dem Kläger nicht zu, so der BGH. Der BGH ließ die Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt, offen und verwies darauf, dass bereits kein ersatzfähiger immaterieller Schaden besteht. Es stehen sich nämlich der Zustand des Weiterlebens durch die lebenserhaltenden Maßnahmen dem Tod bei Abbruch der Maßnahmen gegenüber. Im Lichte der Ansehung des menschlichen Lebens als höchstrangiges Rechtsgut sei selbiges absolut erhaltungswürdig. Hieraus folgt, dass einem Dritten kein Urteil über den Wert oder Unwert dieses Lebens zustehe und folgerichtig eine Wertung des Lebens, und sei es auch leidensbehaftet, als Schaden nicht zulässig ist.

Auch für den Fall, dass ein Patient sein Leben als lebensunwert betrachtet, stehe der staatlichen Gewalt kein Urteil hierüber zu, dem die Qualifikation dieses Lebens als Schaden folgt.

Hinsichtlich der vom Kläger begehrten Behandlungs-und Pflegeaufwendungen urteilte der BGH, dass diese nicht vom Schutzzweck etwaig bestehender Aufklärungs-und Behandlungspflichten erfasst sind. Denn es sei nicht der Schutzzweck wirtschaftliche Belastungen, die mit der Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen einhergehen, zu erfassen. Insbesondere dienen die Pflichten nicht dazu, ein etwaiges Erbe zu erhalten.

Bewertung

Der BGH stellt klar: „Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig“. Das Urteil stellt für die ärztliche Praxis eine Entlastung dar. Denn im Lichte dieser Rechtsprechung wird unmissverständlich deutlich, dass auch nicht für die Behandlungs-und Pflegekosten zu haften ist, wie der BGH in früheren Entscheidungen noch bejaht hatte.

Der BGH setzt mit seinem Urteil aus rechtspolitischer Sicht ein klares Signal für den Schutz des Lebens und gegen die Kategorisierung von wertem und unwertem Leben durch Dritte.

Dem Kläger bleibt aufgrund der Erschöpfung des Rechtsweges noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht. Dieses könnte eine etwaige Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten prüfen.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht

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