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Arzthaftungsrecht: Zur unzureichenden Aufklärung von Organspendern vor einer Lebendspende

Bundesgerichtshof vom 29.01.2019 – VI ZR 318/17 u.a. (BGH PM Nr. 10 vom 29.1.2019)

Hintergrund

VI ZR 495/16

Die Klägerin hatte im Februar 2009 ihrem an einer chronischen Niereninsuffizienz auf dem Boden einer Leichtkettenerkrankung leidenden Vater eine Niere gespendet. Im Mai 2014 kam es zum Transplantatverlust beim Vater.Die Klägerin behauptete zudem, infolge der Organspende an einem chronischen Fatigue-Syndrom und an Niereninsuffizienz zu leiden und rügte eine formal wie inhaltlich ungenügende ärztliche Aufklärung. Weder sei eine ordnungsgemäße Niederschrift über das Aufklärungsgespräch gefertigt noch das Aufklärungsgespräch in Anwesenheit eines neutralen Arztes durchgeführt worden.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb vor dem Oberlandesgericht erfolglos. Das Gericht war zwar der Ansicht, dass die Beklagten gegen verfahrensrechtliche Vorgaben aus § 8 Abs. 2 TPG (2007) verstoßen hätten. Doch führe dieser formale Verstoß nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Klägerin in die Organentnahme. Eine Haftung der Beklagten folge auch nicht aus der inhaltlich unzureichenden Risikoaufklärung. Denn es greife der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung, da die Klägerin nicht plausibel dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte.

VI ZR 318/17

Der Kläger in dem weiteren Verfahren hatte im August 2010 seiner an Niereninsuffizienz leidenden und dialysepflichtigen Ehefrau ebenfalls eine Niere gespendet. Der Kläger behauptete, seit der Organentnahme an einem chronischen Fatigue-Syndrom zu leiden. Die Risikoaufklärung sei formal wie inhaltlich unzureichend gewesen.

Auch hier heben LG und OLG die auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage abgewiesen. Etwaige formale Verstöße gegen § 8 Abs. 2 TPG (2007) begründeten keine Haftung. Eine solche folge auch nicht aus der inhaltlich fehlerhaften Risikoaufklärung, da der Kläger selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt hätte.

Auf die Revisionen der Kläger hat der BGH die Vorentscheidungen aufgehoben und die Sachen zur Feststellung des Schadensumfangs an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Zwar sind die Klagen nicht bereits wegen der festgestellten Verstöße gegen die Vorgaben des § 8 Abs. 2 Satz 3 (Anwesenheit eines neutralen Arztes beim Aufklärungsgespräch) sowie Satz 4 (von den Beteiligten zu unterschreibende Niederschrift über das Aufklärungsgespräch) TPG begründet. Denn dabei handelt es sich (lediglich) um Form- und Verfahrensvorschriften, welche die Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung des Spenders begleiten. Verstöße hiergegen führen jedoch nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung der Spender in die Organentnahme und zu deren Rechtswidrigkeit, sondern sind (erst) im Rahmen der Beweiswürdigung als starkes Indiz dafür heranzuziehen, dass eine Aufklärung durch die – insoweit beweisbelastete – Behandlungsseite nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden hat.

Dem Grunde nach bestehen die Klageansprüche allerdings aus den festgestellten inhaltlichen Aufklärungsmängeln. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die Kläger, deren eigene Nierenfunktionswerte sich bereits präoperativ im unteren Grenzbereich befanden, nicht ordnungsgemäß über die gesundheitlichen Folgen der Organentnahme für ihre Gesundheit aufgeklärt worden. Die Klägerin des Verfahrens VI ZR 495/16 hätte zudem über das erhöhte Risiko eines Transplantatverlusts bei ihrem Vater aufgrund von dessen Vorerkrankung aufgeklärt werden müssen. Damit waren die von den Klägern erteilten Einwilligungen in die Organentnahme unwirksam und der Eingriff jeweils rechtswidrig.

Der Einwand der Beklagten, die Kläger hätten schließlich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt, war – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – unerheblich. Denn der Einwand der hypothetischen Einwilligung ist im Transplantationsgesetz nicht geregelt. Angesichts des vom Gesetzgeber geschaffenen gesonderten Regelungsregimes des Transplantationsgesetzes lassen sich die zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze der hypothetischen Einwilligung nicht auf die Lebendorganspende übertragen. Der Einwand ist auch nicht nach dem allgemeinen schadensersatzrechtlichen Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich, weil dies dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 TPG) widerspräche.

Die vom Gesetzgeber bewusst streng formulierten und in § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG gesondert strafbewehrten Aufklärungsvorgaben sollen den potentiellen Organspender davor schützen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; sie dienen somit dem „Schutz des Spenders vor sich selbst“. Jedenfalls bei der Spende eines – wie hier einer Niere – nicht regenerierungsfähigen Organs, die nur für eine besonders nahestehende Person zulässig ist (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG), befindet sich der Spender in einer besonderen Konfliktsituation, in der jede Risikoinformation für ihn relevant sein kann.

Die echte Freiwilligkeit der Spende ist zudem vorab durch eine Kommission zu verifizieren (§ 8 Abs. 3 TPG). Könnte die Behandlungsseite vor diesem Hintergrund mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Haftung abwenden, bliebe die rechtswidrige Organentnahme insoweit sanktionslos und würden die gesonderten Aufklärungsanforderungen des Transplantationsgesetzes unterlaufen. Dies erschütterte das notwendige Vertrauen potentieller Lebendorganspender in die Transplantationsmedizin. Denn die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes ist unabdingbare Voraussetzung, wenn – um des Lebensschutzes willen – die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll.

Bewertung

Das vom Gesetzgeber geschaffene Regelungssystem des Transplantationsgesetzes weist intendierte Besonderheiten auf. Dies impliziert die Nichtanwendbarkeit der zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze der hypothetischen Einwilligung auf die Lebensorganspende im Sinne des Transplantationsgesetzes, da der Sinn und Zweck des besonderen Regelungsregimes sonst untergraben werden würde.

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