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Arbeitsrecht/Sozialrecht: Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch Arbeitnehmer zur Pflege von Angehörigen stellt kein sozialwidriges Verhalten dar

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.12.2018 – L 13 AS 162/17 Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.09.2018 – 21 Sa 390/18; Pressemitteilung Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Nr. 3 vom 14.01.2019

Hintergrund

Die Klägerin, 38 Jahre alt, nahm eine Anstellung als Hallenaufsicht an einem Flughafen an. Sie lebt mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter zusammen.Sie sorgt für ihre Mutter. In Folge von Rippenbrüchen verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Mutter. Sodann beendete die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit ihrem Arbeitgeber durch Aufhebungsvertrag, um die Mutter entsprechend pflegen zu können. Die Klägerin bezog ab diesem Zeitpunkt Grundsicherungsleistungen (Hartz IV).

Das die Leistung gewährende Jobcenter forderte sodann 7.100 EUR zurück. Es begründete den Rückforderungsbescheid mit sozialwidrigem Verhalten der Klägerin. Sie sei bei Arbeitsvertragsschluss in Kenntnis gewesen, dass ein Schichtdienst bei der aufgenommenen Erwerbstätigkeit zu leisten ist. Ferner müsse die Tochter die Pflege nicht selbst übernehmen.  Insoweit hätte das Arbeitsverhältnis nicht beendet werden müssen.

Das Landessozialgericht (LSG) trat der Auffassung des Jobcenters entgegen. Es verneint ein sozialwidriges Verhalten der Klägerin.

Gründe

Das LSG stellt in seiner Entscheidung klar, dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Grundsätzlich pflichtet das LSG dem Jobcenter bei, dass jede Arbeit zumutbar ist, wenn die Pflege von Angehörigen auf anderem Wege sichergestellt werden kann. Das LSG erklärt Arbeitszeiten von bis zu sechs Stunden am Tag für eine Person für zumutbar, die eine Person mit Pflegestufe II pflegt. Jedoch kommt es auf den Einzelfall an. Die Klägerin sei aufgrund eines praktizierten Schichtdienstes auf Abruf besonderen Anforderungen ausgesetzt gewesen. Sie sei erst vier Tage vor dem jeweiligen Dienstbeginn über ihren Einsatz in Kenntnis gesetzt worden. Dieses System habe im Widerspruch zur erforderlichen Pflege gestanden. Weiter sei das Selbstbestimmungsrecht der zu pflegenden Mutter zu berücksichtigen. Sie habe eine andere Pflegeperson als ihre Tochter abgelehnt. Soweit das Jobcenter geltend macht, dass die Klägerin bereits bei Arbeitsvertragsschluss über das Anforderungsprofil der Arbeit in Kenntnis gewesen ist, verwies das LSG auf einen anzulegenden objektiven Maßstab. Wegen der Erwerbsobliegenheit sei es dem Leistungsempfänger zuzubilligen die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege auszutesten, ohne sich zugleich einem Ersatzanspruch auszusetzen.

Bewertung

Der Schutz der Klägerin ist weitreichend. Die nachträgliche Feststellung der Unvereinbarkeit von Pflege und Beruf steht damit einem Anspruch auf Hartz-IV nicht entgegen. Es kommt zudem auf einen objektiven Maßstab hinsichtlich der Kenntnis eines beruflichen Anforderungsprofils an.

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