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Medizinrecht: Schadensersatz aufgrund fehlerhafter ärztlicher Behandlung umfasst auch Zwischenfinanzierungskosten

Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 09.08.2018 – 8 U 181/16
(Justiz Hessen PM Nr. 43/2018 vom 1.10.2018)

Hintergrund

Die Tochter der Kläger wurde wegen einer Trisomie 18 mit schweren körperlichen Fehlbildungen geboren. Im Alter von drei Jahren verstarb sie an dieser Grunderkrankung.Sie konnte ihren Oberkörper und Kopf nicht eigenständig halten, nicht essen, krabbeln und laufen. Neben erheblichen Missbildungen litt sie zudem unter massiven, insbesondere nachts auftretenden Unruhezuständen. Die grundsätzliche Schadensersatzverpflichtung der beklagten Ärzte aufgrund ihrer fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung wurde bereits gerichtlich bindend festgestellt (LG Wiesbaden vom 25.07.2014).

Die Kläger wohnten zum Zeitpunkt der Geburt der behinderten Tochter in einer Eigentumswohnung, die nicht behindertengerecht umgebaut werden konnte. Als ihre Tochter zwei Jahre alt war, entschlossen sich die Kläger zum Bau eines Hauses mit einem im Erdgeschoss gelegenen behindertengerechten Zimmer mit kleinem Badezimmer. Zu diesem Zeitpunkt erwarteten die Kläger ihr zweites Kind. Der Bau wurde bis zum Verkauf der Wohnung über ein Darlehen finanziert. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Übernahme der ihnen so entstandenen Zwischenfinanzierungskosten in mittlerer fünfstelliger Größenordnung.

Das LG gab der Lage statt. Die dagegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg.

Gründe

Die Zwischenfinanzierungskosten sind als Folge der fehlerhaften Schwangerschaftsbetreuung von den Beklagten zu übernehmen. Die Kläger haben überzeugend dargelegt, dass sie sich aufgrund der schweren Behinderung ihrer Tochter und nicht wegen einer weitere Kinder umfassende Familienplanung entschlossen haben, die Eigentumswohnung zu verkaufen und ein Einfamilienhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zu bauen.

Die Tochter litt unter schwersten geistigen und psychomotorischen Entwicklungsrückständen. Sie konnte nur mittels eines speziellen Behindertenwagens transportiert werden. Dabei waren in der alten Wohnung der Kläger mehrfache Treppenpodeste zu überwinden. Zudem hatte den Klägern auch kein Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Wohnung zugestanden. Dies spricht alle für die Erforderlichkeit des Baus eines behindertengerechten Hauses.

Der Hausbau wurde zudem im Hinblick auf die krankheitsbedingten nächtlichen Unruhezustände erforderlich. Die Unruhezustände gingen mit einer erheblichen Geräuschentwicklung einher. Die Kläger waren dabei erheblichem psychischen Druck ausgesetzt. Sie wollten Störungen und Beeinträchtigungen von Nachbarn vermeiden. Mit dem Schreien eines gesunden Kindes ist dies nicht zu vergleichen. Aus diesen Gründen wäre eine Anmietung einer behindertengerechten Wohnung keine Alternative gewesen.

Darüber hinaus können die Beklagten nicht erfolgreich einwenden, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass sich eine Familie bei mehreren Kindern dazu entscheide, ein Haus zu bauen. Es ist vielmehr bereits festgestellt worden, dass die Kläger die erste Schwangerschaft bei fehlerfreier Behandlung abgebrochen hätten. In diesem Fall hätten die Kläger nach der zweiten Schwangerschaft ihr erstes Kind bekommen. Die Eigentumswohnung der Kläger wäre für zwei gesunde Kinder jedoch völlig ausreichend gewesen.

Bewertung

Wenn die fehlerhafte ärztliche Schwangerschaftsbetreuung kausal für die Geburt eines Kindes mit Trisomie 18 ist, haben die Eltern gegen die Ärzte neben Schadensersatzansprüchen wegen zusätzlich entstehender Belastungen wie z.B. spezielle Unterhaltskosten auch einen Anspruch auf Übernahme der Zwischenfinanzierungskosten, die für ein Überbrückungsdarlehen bis zum Verkauf der Eigentumswohnung entstehen,  um ein für das Kind behindertengerechtes Eigenheim bauen zu können.

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