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Medizinrecht: Geltendmachung von Arzneimittelregressansprüchen gegen den Erben

Landessozialgericht, Urteil vom 08.11.2017 – L 3 KA 80/14

Hintergrund

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Arzneimittelregresses.

Die Klägerin hatte, mit der Begründung, dass das bei der Klägerin versicherten Patientin verordnete Präparat nach der Anl III Nr 49 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) nicht verordnungsfähig sei, bei der beklagten Prüfungsstelle die Festsetzung von Regressen beantragt.

Dies lehnte die beklagte Prüfstelle unter Hinweis, dass der verordnende Vertragsarzt verstorben und somit dessen Beteiligtenfähigkeit iSv § 10 S 1 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entfallen sei, ab. Dadurch, dass ein Regressanspruch als öffentlich-rechtlicher Schadensausgleich als ein höchstpersönlicher Anspruch einzustufen sei, gehe dieser nicht auf den Rechtsnachfolger nach zivilrechtlichen Regeln über.

Zum Verfahren beigeladen war die Ehefrau und Alleinerbin des verstorbenen Vertragsarztes, der der bei der klagenden Krankenversicherung Patientin Präparate verordnete.

Das Sozialgericht lehnte die Klage der Krankenkasse ab. Beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen  hatte die klagende Krankenkasse mit Ihrem Begehr jedoch Erfolg.

Gründe

Der Durchführung eines Verfahrens nach § 106 Abs. 2 S 4 SGB V iVm § 33 PrüfV stehe der Tod des verordnenden Vertragsarztes und damit notwendigerweise der Wegfall eines  am Verwaltungsverfahren Beteiligten iSv § 10 SGB  X nicht entgegen.

Obwohl es keine Regelung zu der Frage gebe, ob das Verwaltungsverfahren fortzusetzen sei, wenn der daran beteiligte Bürger verstorben ist, sei allgemein anerkannt, dass das Verwaltungsverfahren unter Heranziehung des Rechtsnachfolgers fortzusetzen sei, wenn die betreffende Rechtsposition, nach den Regeln des materiellen Rechts vererbt worden sei. Somit sei nach § 1922 BGB die umstrittene Ausgleichspflicht auf die Ehefrau und Alleinerbin des Vertragsarztes übergegangen.

Bei dem hier von der Klägerin geltend gemachten Arzneimittelregress handele es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um einen besonderen Typus eines – verschuldensunabhängigen – Schadensersatzanspruchs, durch den der Schaden ausgeglichen werden solle, der einer Krankenkasse dadurch entstanden sei, dass ein Vertragsarzt zu ihren Lasten rechtlich unzulässige Arzneimittelverordnungen vorgenommen habe. Die darin liegende Pflicht zum Geldersatz könne nicht nur vom Vertragsarzt, sondern auch von dessen Erben erfüllt werden. Allein der Umstand, dass die Ursache für das Entstehen des Ersatzanspruchs in der besonderen vertragsärztlichen Pflichtenposition des Erblassers zu sehen sei, begründe noch keine „Höchstpersönlichkeit“. Maßgeblich dafür sei nämlich nur die Natur und nicht der Grund des  jeweiligen Anspruchs.

Die Tatsache, dass der streitige Anspruch erst mit der Festsetzung des Regressbetrags durch die Prüfungsstelle entstehe, stehe dem Übergang einer eventuellen Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz auf die Erbin  auch nicht entgegen.  Nach § 1967 BGB gingen nämlich mit dem Erbfall auch solche Pflichten auf den Erben über, die zwar erst nach dem Erbfall entstünden, deren wesentliche Entstehungsgrundlage, wie hier die Verordnung des Präparats durch den Verstorbenen, schon vor dem Erbfall gegeben seien.

Der Durchführung des Verwaltungsverfahren stünde auch keine Versagung der Berufung der Erbin auf  verfahrensrechtliche Mitwirkungs- und Verteidigungsrechte des Verstorbenen Vertragsarztes entgegen. So wie sich der Vertragsarzt mit dem Nachweis entlasten könne, dass es sich um einen medizinisch begründeten Einzelfall handele, in dem die Anwendung des Medikaments zulässig sei, verfüge die Erbin über selbige Rechte. Diese habe nämlich tatsächlich und rechtlich die Möglichkeit die Patientenunterlagen einzusehen und sich daraus ggf. ergebende Entlastungsmomente der Prüfungsstelle mitzuteilen. Schließlich gehe die Pflicht zur Aufbewahrung der Patientenunterlagen nach dem Tod des Vertragsarztes unstreitigerweise auf den Erben über.

Bewertung

Das Landessozialgericht folgt mit seinem Urteil der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie der des Bundesgerichtshofes. Es differenziert anhand zivilrechtlicher Grundsätze zwischen  übergangsfähigen und nicht übergangsfähigen Ansprüchen. Unter Hinzuziehung datenschutzrechtlicher Aspekte hinsichtlich der Einsichtnahmerechte des Erben in die streitigen Patientenakten des verstorbenen Vertragsarztes zu dessen eigener Verteidigung, findet das Urteil die Balance zwischen den beeinträchtigten Interessen.

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