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Medizinrecht: Fixierung von Patienten in öffentlich-rechtlichen Unterbringungen unterliegt Richtervorbehalt

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16
BVerfG Pressemitteilung Nr. 62/2018 vom 24.07.2018

Hintergrund

Zwei Patienten klagen vor dem Bundesverfassungsgericht, weil sie während einer richterlich angeordneten psychiatrischen Unterbringung körperlich fixiert worden waren.

Eine der beiden Verfassungsbeschwerden (2 BvR 306/15) betrifft die sog. 5-Punkte-Fixierung (Fesselung an Bauch und allen Extremitäten). Diese war während des Aufenthalts in einer Psychiatrieeinrichtung über mehrere Tage hinweg wiederholt ärztlich angeordnet und angewandt worden. Der Verfahrenspfleger des Untergebrachten wandte sich als Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfe und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), welcher die Grundlage des Beschlusses darstellte.

Die andere der beiden Verfassungsbeschwerden (2 BvR 502/16) thematisiert die sog. 7-Punkte-Fixierung (Fesselung an Bauch, Brust, Stirn und allen Extremitäten an ein Krankenbett), die über acht Stunden hinweg während eines zwölfstündigen Psychiatrieaufenthalts ärztlich gegen den Beschwerdeführer angeordnet worden war. Dieser richtete seine Verfassungsbeschwerde gegen die in einem vorherigen Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen. Darin nahm er den Freistaat Bayern – wegen Fehlens einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen im Bayerischen Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG) – erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Beide Verfassungsbeschwerden hatten vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg.

Gründe

Die Freiheit des Menschen ist ein außerordentlich hohes Rechtsgut und genießt – nicht zuletzt – in Gestalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 GG Verfassungsrang. Maßgeblich für die Einordnung einer Maßnahme als Eingriff in die persönliche Freiheit ist der tatsächliche, natürliche Wille des Betroffenen. Somit fallen auch psychisch Erkrankte sowie beschränkt- bzw. nicht-Geschäftsfähige unter den Schutzbereich des Grundrechts.

Die Freiheitsentziehung als intensivste Form der Freiheitsbeschränkung wird in jedem Fall vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erfasst. Freiheitsentziehend wirken Maßnahmen von bedeutsamer Eingriffsintensität wie z.B. die Verhinderung der Bewegungsfreiheit eines Menschen. Dies ist bei sowohl bei der 5- als auch bei der 7-Punkte-Fixierung der Fall. Insbesondere wenn die Fixierungen für die Dauer eines nicht unerheblich langen Zeitraums durchgeführt werden, stellen sie eine eigenständige Freiheitsentziehung möglicherweise im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses (Psychiatrieaufenthalt) dar. Sie unterliegen dann erneut dem Richtervorbehalt gem. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG und sind nicht etwa von einer bereits vorliegenden richterlichen Unterbringungsanordnung gedeckt.

An die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in die persönliche Freiheit des Menschen werden, auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, hohe Anforderungen gestellt. Die dazu ermächtigende Gesetzesgrundlage muss dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen und eine darauf zurückzuführende Fixierung darf nur als sog. ultima ratio vorgenommen werden.

Aus Art. 104 Abs. 2 S. 4 GG ergibt, dass der den Gesetzgeber verpflichtet ist, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten, um sicherzustellen, dass dem Betroffenen vor der Freiheitsentziehung alle rechtsstaatlichen Sicherungen gewährt werden. Nimmt der Gesetzgeber diesen Auftrag nicht wahr, so führt dies – wie hier in beiden Streitfällen – zur Verfassungswidrigkeit der zur Freiheitsentziehung ermächtigenden Norm.

Nach diesen Maßstäben verletzen die gerichtlichen Entscheidungen die Betroffenen in ihrem Freiheitsgrundrecht. § 25 PsychKHG enthält keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung auf die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung hinzuweisen ist. Außerdem ist der Gesetzgeber dem Regelungsauftrag aus Art. 104 GG nicht nachgekommen, soweit für eine Fixierung nur eine ärztliche Anordnung reicht. § 19 BayUnterbrG stellt keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Fixierung dar. Es fehlt hier generell an einer speziellen Ermächtigungsgrundlage. Dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt sind, führt für eine Übergangszeit bis zum 30.6.2019 nicht zur Unzulässigkeit einer Fixierung, um eine Schutzlücke zu vermeiden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch ferner stünde als der bisherige Zustand.

Bewertung

Es ist zu begrüßen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit vorliegender Entscheidung für einen weitgehenden Grundrechtsschutz ausgesprochen hat. Es weist zu Recht auf die besonders gebotene Vorsicht im Rahmen von Grundrechtseingriffen in Psychiatrien hin. Die Psychiatrie ist ein geschlossenes System. Geschlossene Systeme schränken die Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende ein und versetzen den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit. Das gilt erst recht bei einer Psychiatrieunterbringung, weil psychisch Kranke häufig nicht in der Lage sind, selbst für ihre Rechte einzustehen.

Ob der Richtervorbehalt dieser Problematik sinnvoll begegnen kann, ist aber eine andere Frage. Fixierungen sind Krisenmaßnahmen. Sie müssen schnell gehen. Sie können und dürfen nur kurzfristige Reaktionen auf problematische Zuspitzungen sein. Ein Richter wird deswegen in der Praxis meist nur nachträglich über die bereits ärztlich angeordnete Fixierung entscheiden können. Daran wird auch der vom BVerfG in seiner Entscheidung ausdrücklich geforderte richterliche Bereitschaftsdienst wenig ändern.

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