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Pferderecht: Abwägung Tiergefahr und Betriebsgefahr eines LKW bei Begegnung von Reiter und Fahrzeug und beiderseitigem leichten Verschulden

OLG Celle, Urteil vom 10.04.2018 – 14 U 147/17

Hintergrund

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Pony der Klägerin verletzt und infolgedessen eingeschläfert wurde.

Am 20.04.2011 ritt die damals 13-jährige Tochter der Klägerin, die Zeugin M., auf der 6-jährigen Ponystute Sunny Surprise auf der rechten Fahrbahnseite der einspurigen Straße mit Randstreifen.

Der Zeugin M. kam der Beklagte zu 1) mit seinem LKW, einer Sattelmaschine mit Auflieger, entgegen. Die Zeugin M. parierte das Pferd zum Halten durch und stellte es auf dem aus ihrer Sicht rechten Seitenstreifen leicht schräg mit dem Pferdekopf in Richtung Fahrbahn, als sich der LKW näherte. Dabei blieb sie auf dem Pferd sitzen.

Nachdem der Beklagte zu 1) die Geschwindigkeit verringert und die Zeugin M. zur Hälfte passiert hatte, scheute das Pferd, obwohl er den LKW nach rechts auf die asphaltierte Fahrbahn gelenkt hatte. Auf den Seitenstreifen war er jedoch nicht ausgewichen.

Ob das Pferd vom dem LKW berührt wurde, ist streitig. Jedenfalls verletzte sich das Pferd schwer, sodass es in der Folge eingeschläfert werden musste. Das Pony hatte einen Verkehrswert von ca. 10.000 €.

Das Landgericht Verden hat in der Vorinstanz entschieden, den Beklagten zu 1) und die Versicherung als Beklagte zu 2) auf Basis einer hälftigen Haftung zur Zahlung von 4.158,64 € zu verurteilen. Es hat erkannt, dass der Beklagte zu 1) die ihm nach §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 StVO obliegenden Pflichten nicht beachtet habe, weil er keinen ausreichenden Seitenabstand zur Reiterin eingehalten habe. Es sei ihm möglich gewesen den Seitenstreifen zu befahren um dies zu gewährleisten. Andernfalls habe er anhalten und die Reiterin passieren lassen müssen. Die Zeugin M. habe sich vor dem Unfall korrekt verhalten. Die Abwägung führe im Hinblick auf die höher anzusetzende Tiergefahr zu einer gleichmäßigen Haftungsverteilung von 50:50.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Landgerichtliche Urteil hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 17,18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG unter Berücksichtigung des Mithaftungsanteils von 50 Prozent bejaht.

Das Landgericht ging davon aus, dass ein Seitenabstand von 1 Meter beim Passieren eines anderen Verkehrsteilnehmers einzuhalten ist. Dies ist jedoch zu wenig, wenn ein Radfahrer oder ein Reiter passiert wird. Da mit Schlenkern bzw. mit plötzlichen Reaktionen eines Tieres gerechnet werden muss, ist ein Seitenabstand von mindestens 1,5 bis etwa 2 Metern einzuhalten. Dies gilt nicht nur beim Überholen, sondern auch beim Vorbeifahren. Der Beklagte zu 1) hätte auf den Seitenstreifen fahren können und müssen, um den Seitenabstand einzuhalten. Das Befahren des Banketts ist gestattet, wenn es die Verkehrslage als sachgerechte und vernünftige Maßnahme erscheinen lässt. An Engstellen muss neben der Geschwindigkeitsreduzierung der Randstreifen mitgenutzt oder gegebenenfalls angehalten werden unter gegenseitiger Verständigung des Passierens.

§ 840 Abs. 3 BGB findet vorliegend keine Anwendung, weil der Zeugin M. ein Verschulden anzulasten ist. In der konkreten Situation war es nicht ausreichend das Pferd zum Halten zu bringen. Der Zeugin kam kein Pkw, sondern eine Sattelzugmaschine mit Auflieger entgegen. Da es sich bei Pferden um Fluchttiere handelt und die Straße sehr schmal war, war eine gefährliche Begegnungssituation vorhersehbar. Die Zeugin M. hätte absteigen und das Pferd führen können. Sie hätte des Weiteren ein Stück zurückreiten können, um das Passieren an einer breiteren Stelle zu ermöglichen oder eine Verständigung mit dem Beklagten zu 1) herbeiführen können.

Bewertung

Dem Urteil des OLG Celle ist zuzustimmen. Will ein Lkw-Fahrer einen Reiter passieren, so muss er gegebenenfalls unter Ausnutzung des Randstreifens einen Seitenabstand von wenigstens 1,50 m bis 2,00 m einhalten. Hält er sich nicht daran und scheut das Pferd daraufhin, haftet er für etwaige Verletzungen des Pferdes und dadurch bedingter Folgen. Den Reiter kann aber ein Mitverschulden treffen, wenn er trotz Erkennbarkeit der Gefahrenlage lediglich das Pferd anhält und sitzenbleibt. Im Rahmen der Abwägung ist auf Seiten der Klägerin die Tiergefahr zu berücksichtigen, die schwerer wiegt als die bloße Betriebsgefahr eines Pkws, da von Tieren für den Straßenverkehr eine deutlich höhere Gefahr ausgeht. Die Betriebsgefahr eines LKW hingegen wiegt schwerer als die eines PKWs. Da im vorliegenden Fall beide Unfallbeteiligte ein Verschulden trifft, ist eine Haftungsquote von 50: 50 angemessen.

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