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Arbeitsrecht: Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht bei jeder Stelle eine Religionszugehörigkeit der Bewerber fordern

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17.04.2018, Az. C 414-16; Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 46/18 vom 17. April 2018

Hintergrund

Streitig ist, ob die Ablehnung einer Bewerbung aufgrund fehlender Religionszugehörigkeit eine Diskriminierung darstellt.

Die konfessionslose Klägerin bewarb sich im Jahre 2012 auf eine vom evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Deutschland) (folgend: Diakonie) ausgeschrieben wurde.

Die ausgeschriebene Referententätigkeit hatte die Erarbeitung des Parallelberichts zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung zum Gegenstand. Im Rahmen dieser Tätigkeit sollte sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber Politik, Öffentlichkeit, entsprechenden Menschenrechtsorganisationen, als auch die Information und Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses und die Mitarbeit in entsprechenden Gremien sowie die Organisation, Verwaltung und Sachberichterstattung zum Arbeitsbereich geleistet werden. Die Stellenausschreibung enthielt zudem folgenden Passus:

Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der [Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland] angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an“.

Die Diakonie lud die Bewerberin nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein.

Im Glauben einer Benachteiligung aufgrund ihrer fehlenden Religionszugehörigkeit erhob die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Klage auf Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 9.788,65 EUR, gründend auf § 15 Abs. 2 AGG. Die Klägerin führte an, dass die Bewerberauswahl nach Maßgabe der Religionszugehörigkeit mit dem Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes in unionsrechtskonformer Auslegung nicht vereinbar sei. Die Diakonie setzte dem entgegen, dass das „Recht die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche zu verlangen, [sei] Ausfluss des durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts“ ist. Insbesondere im Hinblick auf Art. 17 AEUV sei der Ausschluss wegen fehlender Religionszugehörigkeit zulässig. Im Übrigen stelle die Bindung an die Konfession aufgrund des Selbstverständnisses der Tätigkeit im kirchlichen Dienst eine gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.

Das Arbeitsgericht gab der Klage teilweise statt, bejahte eine Benachteiligung und stand der Klägerin einen Anspruch in Höhe von 1.957, 73 EUR zu. Die durch die Klägerin eingelegte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Zur weiteren Verfolgung ihrer Interessen legte die Klägerin Revision vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ein.

Das BAG machte deutlich, dass für die Beurteilung des Begehrens der Klägerin entscheidend ist, ob die durch die Diakonie vorgenommene Differenzierung nach der Religionszugehörigkeit nach § 9 Abs. 1 AGG zulässig ist:

Hierfür bedürfe es erstens einer unionsrechtskonformen Auslegung. Es komme auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 an. Zweitens seien die verfassungsrechtlichen nationalen Bestimmungen zu beachten und zugleich die Grundsätze des Unionsrechts (der durch die Beklagte angeführte Art. 17 AEUV) zu berücksichtigen.

Das BAG begehrte die Klärung dieser Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Der EuGH forderte die gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung einer Kirche im Hinblick auf das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit nach Maßgabe der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 niedergelegten Maßstäbe.

Gründe

Der EuGH stellte fest, dass nach der streitgegenständlichen Richtlinie eine Abwägung zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen und dem Recht der Bewerberinnen und Bewerber, insbesondere im Hinblick auf eine Einstellung und damit etwaig verbundene Diskriminierung aufgrund fehlender Religionszugehörigkeit, vorzunehmen ist, um einem angemessenen Ausgleich Rechnung zu tragen. Diese Abwägung müsse letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden können.

Demnach müsse, wenn eine Kirche (oder andere öffentliche oder private Organisationen) geltend macht, dass die „Religion nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen angesichts des Ethos der Kirche“ darstellt, eine wirksame gerichtliche Kontrolle möglich sein.

Im konkreten Fall bedeutet dies, so der EuGH, dass die in der Richtlinie aufgestellten Kriterien für die Abwägung erfüllt sein müssen. Der EuGH erkennt an, dass es einem Gericht nicht zustehe über den zu Grunde liegenden Ethos als solchen zu entscheiden, dennoch obliege es dem überprüfenden Gericht, die Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ im Einzelfall im Kontext des angeführten Ethos zu überprüfen und über die Notwendigkeit der durch die Kirche gestellten Anforderung einer Religionszugehörigkeit aufgrund der spezifisch geforderten Tätigkeit zu entscheiden.

Aufgrund der grundsätzlich fehlenden unmittelbaren Wirkung von Europäischen Richtlinien obliege es den nationalen Gerichten, so weit wie möglich im Sinne einer Richtlinienkonformität der Auslegung des aufgrund der Richtlinien erlassenen nationalen Gesetze zu entscheiden.

Im Falle der Unmöglichkeit der Anwendung nationalen Rechts in richtlinienkonformer Weise darf, wie der EuGH entscheidet, das nationale Recht keine Anwendung finden.

Aufgrund der Anwendbarkeit der Grundrechte Charta der Europäischen Union verbiete sich jede Form von Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung (Art. 21) und gebiete es dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Schutz (Art. 47). Hieraus erwachsene dem Einzelnen ein Recht, dass er im Falle eines Zivilrechtsstreites der Unionsrecht auch zum Gegenstand hat, geltend machen kann.

Bewertung

Die Entscheidung des EuGH stellt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV zur Disposition. Die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts reicht nach Auffassung des EuGH nicht bis zur uneingeschränkten Entscheidungsbefugnis über die Erforderlichkeit von Eigenschaften von Bewerbern.

Es ist nun abzuwarten, wie das BAG auf Grundlage der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Kontext der bisher ergangenen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in jeder Hinsicht verteidigt hat, den Sachverhalt bewerten wird. Aufgrund der Entscheidung des EuGH ist in dieser Sache wohl davon auszugehen, dass das nationale Recht nicht zur Anwendung kommt und dem Begehren der Klägerin stattgegeben wird.

Festzustellen ist, dass die durch den EuGH geforderte Überprüfung anhand der in der Richtlinie veranlagten Kriterien undifferenziert ist. Insoweit bleibt der deutschen Gerichtsbarkeit ein recht weiter Spielraum, der wohl möglich auch die weitere Durchsetzung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulassen könnte.

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