Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Dezember 2016 – IV ZR 527/15
Hintergrund
Der Kläger war HNO- Arzt und stand mit der Beklagten in einem Versicherungsvertragsverhältnis. Dieses Versicherungsvertragsverhältnis umfasste sowohl eine Rentenversicherung, als auch eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.
Streitig war, ob seitens der Beklagten nach Änderung der Berufsumstände weiterhin eine Verpflichtung zur Erfüllung des Vertragsverhältnisses betreffs der Zusatzversicherung bestand.
Dem Versicherungsvertragsverhältnis lagen besondere Bedingungen für die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung zu Grunde. Diese stellte insbesondere auf den Begriff „vollständiger Berufsunfähigkeit“ ab und setzte ferner darauf, dass eine Zahlungspflicht nur zur Sicherung bisheriger Lebensstellung besteht. Ferner war Gegenstand der Bedingungen, dass nach erfolgter Anerkennung und Feststellung der Zahlungspflicht im Nachgang weiterhin geprüft werden konnte, ob weiterhin eine Zahlungspflicht seitens des Versicherers besteht. Dieser Prüfung sollten nach den Vertragsbedingungen auch neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten zugrunde gelegt werden. Ein Einstellen der Leistung war nach den zu Grunde liegenden Sonderbedingungen an eine Verminderung der Berufsunfähigkeit unterhalb von 50 % geknüpft, oder entsprechend ein vollständiger Entfall der Berufsunfähigkeit.
Der Kläger war seit Januar 2000 in einer Gemeinschaftspraxis tätig, ab Dezember 2002 in einer Einzelpraxis, selbstständig. Beim Kläger kam es ab dem Jahr 2000 zu einer kompletten Arthrose des rechten Schultergelenks in Folge dessen zu Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit. Dies führte ab 2005 zum Unterlassen von ambulanten chirurgischen Eingriffen in der eigenen Praxis und in einem Belegkrankenhaus. Ab Februar 2006 stellte der Kläger eine Assistenzärztin ein, die Tätigkeiten innerhalb der Praxis ausführte, zu denen der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung nicht mehr im Stande war. Nach Beantragung der Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung kam es ab Mai 2006 zur Erfüllung der vertraglich vereinbarten Leistung.
Ab 2010, dies teilte der Kläger der Beklagten mit, wurde die Praxis in ein medizinisches Versorgungszentrum umgewandelt, der Kläger stand ab diesem Zeitpunkt in einem Angestelltenverhältnis zum Trägerunternehmen. Von diesem wurde er als Leiter des medizinischen Versorgungszentrums eingesetzt. Mit schriftlicher Erklärung vom 15. April 2011 und Nachprüfungsverfahren am 31. Mai 2011 kündigte die Beklagte an, die bisher erbrachten Leistungen für die Zukunft einzustellen. Sie begründete diese Entscheidung mit der Tatsache, dass die seit August 2010 ausgeführte Berufstätigkeit die in den Sonderbedingungen angesprochene Lebensstellung wahre und demnach keine Zahlungspflicht mehr bestehe.
Der Kläger führte zusätzlich aus, dass zum 31. März 2013 eine Aufhebungsvereinbarung zwischen ihm und dem medizinischen Versorgungszentrum bestand. Seit Mai 2013 war der Kläger als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis, auf Honorarbasis, tätig.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht urteilte für einen Anspruch von Rentenleistungen ab April 2013 bis längstens zum 30. November 2020. Die Beklagte wurde zudem mit selbigem Urteil zur Erstattung von Beiträgen ab April 2013 bis November 2015 verurteilt. Der Kläger wurde zudem als berufsunfähig im Sinne des Versicherungsvertrages eingestuft. Ab Dezember 2015 sollen mit Wirkung des Urteils keine Beiträge an die Beklagte mehr erfolgen.
Die Revision vor dem Bundesgerichtshof, angestrengt durch die Beklagte, hatte keinen Erfolg.
Gründe
Das Berufungsgericht urteilte, dass betreffs der Beurteilung auf die Tätigkeit vor Eintreten der gesundheitlichen Beschränkungen abzustellen sei und für die Frage der Leistungspflicht einzig entscheidend ist, ob die Tätigkeit des Klägers immer noch der bisherigen Lebensstellung entspricht. Ebenso entschied das Berufungsgericht, dass eine Nachprüfung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch durch den Versicherten gefordert werden muss, um einem Risiko späterer nachteiliger Arbeitsplatzveränderung zulasten des Versicherten entgegenzuwirken.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hielt der rechtlichen Nachprüfung des Bundesgerichtshofs im Revisionsverfahren im Ergebnis stand.
Die Kernfrage die das Berufungsgericht stellte, war die Klärung, ob eine in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit Anknüpfungspunkt für die Berufsunfähigkeit ist, wenn die Vergleichstätigkeit wieder beendet wird.
Der Bundesgerichtshof führte aus, dass im Falle einer gesundheitlichen Einschränkung, die zur Nichtausübung des Berufes führt, eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit im Sinne auch der besonderen Bedingungen der Berufsunfähigkeits – Zusatzversicherung noch nicht besteht, und vielmehr eine Gesamtschau insbesondere auch unter Bezugnahme auf eine mögliche Vergleichstätigkeit vorzunehmen ist. Der Begriff der Berufsunfähigkeit sei demnach ein Begriff, der sowohl rechtliche als auch medizinische Aspekte enthalte. Der Bundesgerichtshof verweist hierzu auf Literatur und bereits ergangene Rechtsprechung.
Für nicht richtig beurteilte der Bundesgerichtshof jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass eine Bindung an die Anerkenntnis des Gesundheitszustandes des Klägers besteht.
Ein Abrücken von der Selbstbindung erklärte der Bundesgerichtshof, bereits auch in vormalige Rechtsprechung, für möglich.
In der Folge bewertete der Bundesgerichtshof, dass nach Beendigung einer Vergleichstätigkeit kein Aufleben des vormaligen Versicherungsfalls erfolgt, sondern dass eine neue Beantragung der Leistung durch den Versicherten erfolgen muss. Der Grundsatz von Treu und Glauben sei hierbei nicht einschlägig, so der Bundesgerichtshof. Sowohl Wortlaut aus auch Symmetriegesichtspunkte widersprechen einem Nachprüfungsrecht des Versicherten.
Auch wenn der Bundesgerichtshof angesprochene Tatsachen bzw. Beurteilung der Berufungsinstanz beanstandete, und anders feststellte, blieb die Entscheidung des Berufungsgerichts, wie auch bereits ausgeführt, im Ergebnis bestehen.
Denn die Revision blieb insoweit erfolglos, als nach Beendigung einer vergleichbaren Tätigkeit erneut die Voraussetzungen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit beim Versicherten, bzw. Kläger, vorlagen. Der Kläger war nach wie vor HNO-Arzt und konnte nach wie vor operative Eingriffe bei Patienten nicht vornehmen.
Denn auch nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Prüfung des Eintritts bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgeblich. Es gehe hierbei, so der Bundesgerichtshof, ausdrücklich um „seinen Beruf“.
Die Vergleichstätigkeiten des Versicherten, bzw. Klägers, wurden nicht zum versicherten Beruf des Klägers. Die Vergleichstätigkeit, in nomine die Tätigkeit als Angestellter im medizinischen Versorgungszentrum und die vormalige eingeschränkte ärztliche Tätigkeit in der eigenen Praxis, stellten, so der Bundesgerichtshof, nicht den versicherten Beruf des Klägers dar. Dieser Berufswechsel, bzw. dieses Ausweichen auf andere Tätigkeiten, war lediglich leidensbedingt. Somit blieb Ausgangspunkt die erstmalige Tätigkeit als HNO Arzt. Auch eine nach Eintritt des Versicherungsfalls zunächst eingeschränkte Tätigkeit sei nicht Ausgangspunkt für den Versicherungsfall, so der Bundesgerichtshof. Diese Bewertungen ergaben sich nach Auslegung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen.
Bewertung
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist als richtig zu bewerten. Sie schafft einen gerechten Ausgleich sowohl der Interessen des Versicherungsnehmers als auch des Versicherungsgebers. Die Interessen des Versicherungsgebers werden zwar eingeschränkt, aber dies insoweit in gerechter Weise als das eine stetige Umgestaltung der Anforderungen an den Eintritt eines Versicherungsfalls nicht als gerecht bewertet werden können. Insoweit schafft das Urteil Klarheit und nimmt die Interessen der Sicherungsnehmer in erforderlicher Weise ernst.