Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 10.10.2017 – 4 RBs 326/17

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist der Bestand eines Bußgeldbescheides und eines damit verbundenen Fahrverbotes.

Der zum streitigen Zeitpunkt 61-jährige Kläger befuhr eine Bundesstraße. Er überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h. Hierfür wurde er mit einem Bußgeld in Höhe von 80,00 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot (gemäß § 4 II 2 BKatV) belegt. Die Geldbuße und das Fahrverbot fielen derart aus, weil der Kläger bereits wenige Monate zuvor mit einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h aufgegriffen worden war.

Das durch den Kläger vor dem Amtsgericht (AG) angestrengte Verfahren blieb erfolglos. Das AG urteilte (Az. 77 OWi 121/17 AG Paderborn), dass der Kläger keine Tatsachen vorgetragen habe, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen.

Der Kläger trug vor, aufgrund einer Prostataoperation über eine nur eingeschränkte Kontinenz zu verfügen. Während der Fahrt mit der überhöhten Geschwindigkeit habe er einen starken, schmerzhaften Harndrang verspürt, sodass er die Geschwindigkeit außer Acht gelassen habe und nur auf das Erreichen einer möglichen Haltestelle konzentriert gewesen sei. Eine solche Stelle sei zunächst aufgrund dichten Verkehrs nicht erreichbar gewesen.

Die eingelegte Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG vor dem Oberlandesgericht (OLG) war – vorläufig – erfolgreich. Das OLG hat Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Gründe

Das OLG führte aus, dass das Urteil einen Erörterungsmangel aufweise. In der Rechtsprechung sei es anerkannt, dass ein sehr starker Harndrang aufgrund körperlicher Dispositionen des Betroffenen Begründung für das Absehen von einem Fahrverbot sein kann, wenn dieser Umstand ursächlich für eine Geschwindigkeitsüberschreitung ist.

Ein solcher Fall stelle allerdings einen besonderen Ausnahmefall dar. Es sei nicht Ziel dieses Anerkenntnisses der Rechtsprechung, pflichtwidriges Verhalten grundsätzlich zu legitimieren. Vielmehr müsse ein durch eine körperliche Disposition Beeinträchtigter seine Fahrt mit einem KFZ an seiner Disposition ausrichten, gerade auch im Hinblick auf mögliches stärkeres Verkehrsaufkommen oder andere Beeinträchtigungen des und durch den Verkehr.

Der Entscheidung ermangele es jedoch an einer Berücksichtigung der Umstände der Fahrt, die dann in die Rechtsfolgenbemessung mit einfließen müssen. Der Tatrichter müsse feststellen, warum sich der Kläger zur Fahrt entschlossen habe und inwieweit eine Reaktion auf den starken Harndrang aufgrund der Verkehrssituation unter Berücksichtigung möglicher Vorhersehbarkeit sogar unmöglich gewesen ist.

Aufgrund dessen verwies das OLG die Sache an das AG zurück.

Bewertung

Das OLG entscheidet interessengerecht und im Sinne der bereits ergangenen Rechtsprechung. Das OLG weist zu Recht daraufhin und führt zu Recht aus, dass eine Berücksichtigung der individuellen Umstände bei der Rechtsfolgenbemessung erforderlich ist, um auch die Situation des Betroffenen respektive Klägers hinlänglich zu berücksichtigen. Genauso darf eine Legitimation der Geschwindigkeitsüberschreitung aber kein „Freifahrtschein“ für pflichtwidriges Verhalten sein.