Bundesgerichtshof, Urteil v. 29.11.2016, X ZR 122/14

Hintergrund

Die Klägerin hatte sich an einem Vergabeverfahren für die Sanierung und den Neubau von Flächen eines Universitätsinstitutes beteiligt. Die Vergabestelle hatte den Auftragswert auf 138.248,73 € brutto geschätzt. Die Angebotsfrist des Verfahrens lief bis zum 25. April 2012.

Am 24. Februar 2012 reichte die Klägerin auf elektronischem Wege um 9:11 Uhr ihr erstes Angebot (Angebot 1) ein. Dieses Angebot wurde mit 268.201,96 € beziffert. Um 11:02 Uhr reichte die Klägerin ein weiteres Angebot (Angebot 2) in Höhe von 268.580,38 € ein.

Ein Unterschied bestand in zwei Positionen des Angebotes. Die Preisdifferenz belief sich auf 378,42 €. Im Eröffnungstermin lagen dem Beklagten, dem Land, Angebote von drei Bietern vor. In die Beurteilung bezog der Beklagte das Angebot 2 ein. Die anderen Angebote der anderen Bieter waren um bis zu 3 % teurer. Aufgrund der deutlichen Überschreitung der Kostenschätzung der Vergabestelle hob sie das Vergabeverfahren auf. Zuvor hatte sie fehlende Erklärungen von der Klägerin und einem Mitbewerber angefordert und Aufklärungsgespräche geführt. In einzelnen Leistungsposition sein die Angebote in ihrer Abweichung nicht nachvollziehbar, so die Vergabestelle.

Ein Nachprüfungsantrag der Klägerin wurde von der Vergabekammer als unzulässig abgewiesen. Eine Beschwerde hatte die Klägerin nach Hinweisen des Beschwerdegerichts zurückgenommen. Unterteilt in vier Teillose wurden die ausgeschriebenen Leistungen ab Oktober 2012 erneut ausgeschrieben und vergeben.

Mit Klage beanspruchte die Klägerin Schadenersatz in Höhe ihres auf 97.111,47 € bezifferten Interesses und führte aus, dass für die Beendigung des Vergabeverfahrens kein berechtigenden Grund vorgelegen hätte. Bei ordnungsgemäßer Durchführung hätte das Angebot 2 angenommen werden müssen. Das Landgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß. Die Berufungsinstanz wies die Klage bis auf die erstattungsfähig anzusehenden Angebotserstellungskosten in Höhe von 61,20 € ab. Mit dem Rechtsmittel der Revision griff die Klägerin das Urteil des Berufungsgerichts an und begehrte die vollständige Zurückweisung der Berufung. Die Revision der Klägerin vor dem Bundesgerichtshof führte zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.

Gründe

Die Berufungsinstanz hatte anerkannt dass die Ausschreibung rechtswidrig aufgehoben worden ist, jedoch ein Zuschlag im Vergabeverfahren erst gar nicht hätte erteilt werden dürfen, weil ein vergaberechtlich unzulässiges Doppelangebot hätte ausgeschlossen werden müssen.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts, des Oberlandesgerichts Naumburg, hielten der rechtlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand.

Der Bundesgerichtshof führte aus, dass nach durch Vergabesenate ergangener Rechtsprechung die Abgabe von mehr als zwei Hauptangeboten nicht ausgeschlossen ist. Unproblematisch sei eine Unterscheidung in Preis und sachlich-technischer Ausführung mehrerer Angebote eines Bieters, wenn eine Einordnung als Nebenangebot nicht in Betracht kommt. Diesen Entscheidungen schloss sich der Bundesgerichtshof an. Er führte weiter aus, dass grundsätzlich keine Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung durch die Abgabe mehrerer Hauptangebote besteht.

Nach Feststellung des Berufungsgerichts lag der Unterschied zwischen den beiden abgegebenen Angeboten in der Art der beabsichtigten Ausführung einer Angebotsposition. Diese sollte entweder durch die Klägerin selbst, oder durch ein Nachunternehmen ausgeführt werden. Hieraus ergab sich eine Preisdifferenz. Unter dieser Maßgabe erschien es dem Bundesgerichtshof als äußerst fraglich, ob ein zum Angebotsausschluss führendes Mehrfachangebot vorliegt. Das Gericht erachtete die Argumente der Berufungsinstanz als nicht schlagkräftig.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes war die Berufungsentscheidung auch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft, sodass die Diskussion über einen Angebotsausschluss bereits dahinstehen kann. Das Berufungsgericht hat fälschlicherweise angenommen, die Klägerin habe zwei Hauptangebote abgegeben.

Die Sendung von zwei Angeboten muss nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bewertet werden. Auch wenn dies dem Tatrichter obliegt, ist dessen Entscheidung bei Verkennung rechtlicher Grundsätze für die Revisionsinstanz nicht bindend, wie der Bundesgerichtshof erneut ausführte.

Die Klägerin hatte im Abstand von rund zwei Stunden zwei Angebote eingereicht. Da sie dieses kommentarlos auf elektronischem Wege zusandte, und damit keinen abweichenden Willen kundtat, lege allein schon die zeitliche Abfolge die Annahme nahe, dass es sich um eine Ersetzung des ersten Angebotes handeln sollte, so der Bundesgerichtshof. Nach Auffassung des Gerichts hätte es zur Einreichung eines zweiten Angebotes einer hinreichenden Darlegung der Klägerin bedurft. Eine solche lag nicht vor.

Im Übrigen schloss sich der Bundesgerichtshof dem Berufungsgericht an. Die entscheidungserhebliche Tatsache beurteilte er anders und kam im Ergebnis damit zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts.

Bewertung

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist uneingeschränkt zuzustimmen. Das Gericht hat präzise die wesentliche Falschbeurteilung durch das Berufungsgericht herausgearbeitet. Die Entscheidung ist aus der Perspektive der Abgabe von Hauptangeboten interessant. Der Bundesgerichtshof schließt sich nun den durch das OLG Düsseldorf und das OLG München ergangenen Entscheidungen zur Abgabe von mehreren Hauptangeboten an. Eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu bestand bis dato nicht.

Aus Gründen der Verkehrsauffassung ist deutlich für eine Ergänzung bzw. Korrektur des ersten Angebotes zu entscheiden. Die Entscheidung erleichtert in der Praxis die Korrektur von abgegebenen Hauptangeboten im Vergabeverfahren.

Norbert Dippel
Rechtsanwalt