Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.7.2017 – 9 AZR 259/16

Hintergrund

Die Klägerin, eine Krankenschwester, ist seit 1989 bei der Beklagten Beschäftigt. Seit Oktober 2011 betrug der Umfang ihrer Beschäftigung 50 Prozent der Regelarbeitszeit einer Vollzeitarbeitskraft. Am 9.2.2015 äußerte sie durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten gegenüber der Beklagten Interesse an einer Vollzeitarbeitsstelle unter Hinweis auf § 9 TzBfG. Die Beklagte stellte jedoch, ohne vorherige Information der Klägerin, zum 1.4.2010 fünf examinierte Krankenschwestern in Vollzeit ein. Daher ist die Klägerin nun der Auffassung, sie habe gemäß § 9 TzBfG einen Anspruch auf eine Vollzeitstelle und erhob Klage auf Zustimmung zur Erhöhung ihrer Arbeitszeit. Damit hatte sie zunächst vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hin wies das Landesarbeitsgericht die Klage jedoch ab, auch die dagegen gerichtete Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg vor dem Bundesarbeitsgericht.

Gründe

Vorliegend ist die Beklagte nach der Ansicht des BAG nicht dazu verpflichtet, das Angebot der Klägerin, die wöchentliche Arbeitszeit auf 39 Stunden zu erhöhen, anzunehmen. Der Anspruch aus § 9 TzBfG besteht nicht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus einem etwaigen Sekundäranspruch.

Grundsätzlich gibt § 9 TzBfG Arbeitnehmern, die in Teilzeit beschäftigt sind, einen Anspruch auf Vollzeitbeschäftigung bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes, soweit gleiche Eignung besteht. Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 9 TzBfG jedoch nicht erfüllt, denn es fehlt an einem freien Arbeitsplatz. Maßgeblicher Betrachtungszeitpunkt ist hier der Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LAG. An diesem Punkt waren die freien Stellen aber alle bereits endgültig erneut besetzt.  Der Anspruch aus § 9 TzBfG ist somit gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden. Der Anspruch ist folglich erloschen. Der Anspruch kann ebenso wenig dadurch begründet werden, dass die Klägerin regelmäßig Mehrarbeit in erheblichem Umfang geleistet hat. Es fehlt weiterhin an dem Bestehen eines freien Arbeitsplatzes, allein der Abbau von Überstunden hat keinen Anspruch auf Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes zur Folge.

Es liegt einzig ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 280 Abs. 1, 3, § 283 Abs. 1 BGB vor. Dieser Sekundäranspruch führt jedoch nicht zu einem Anspruch auf Änderung des Arbeitsvertrags. Dies würde auch der Wertung des § 15 Abs. 6 AGG widersprechen, der bestimmt, dass bei einem Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot grundsätzlich auch kein Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses besteht. Es liegt auch in diesem Fall einzig ein Anspruch auf finanziellen Nachteilsausgleich vor.

Bewertung

Wichtig ist in diesem Fall die Wahl des richtigen Beurteilungszeitpunktes. Dieser befindet sich am Schluss der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz. Zu diesem Zeitpunkt waren die freien Stellen jedoch bereits wiederbesetzt, sodass der Arbeitgeberin die Erfüllung des Anspruchs § 9 TzBfG gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden ist. Der Anspruch ist somit untergegangen. Dass die Arbeitgeberin wegen dieser Vorgehensweise zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet ist, hat auf den Anspruch aus § 9 TzBfG und die wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmerin keinen Einfluss. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist demnach zuzustimmen.