Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 22.11.2017 – L 1 U 1277/17 und L 1 U 1504/17

Hintergrund

In den beiden vorliegend zu besprechenden Urteilen geht es jeweils darum, unter welchen Voraussetzungen Verletzungen durch einen Arbeitskollegen als Arbeitsunfall anerkannt werden können.
Im ersten Fall (Az.: L 1 U 1277/17) befand sich der Kläger in einem Firmentransporter seines Arbeitgebers und fuhr seine Kollegen und sich nach einem Baustelleneinsatz nach Hause. Während der Fahrt geriet man in Streit darüber, ob ein Fenster des Autos zum Lüften geöffnet werden sollte. Zwischenzeitlich wurde einer der Kollegen abgesetzt, währenddessen öffnete ein anderer die Beifahrertür. Dadurch eskalierte die Situation, denn als der Kläger versuchte, die Tür wieder zum Zwecke der Weiterfahrt zu schließen, schlug ein Kollege ihm mit der Faust ins Gesicht. Der Kläger ging zu Boden. Der Kollege trat ihm noch mit seinem mit einer Stahlkappe versehenen Schuh an den Kopf, wodurch der Kläger unter anderem eine Schädelprellung erlitt. Die Anerkennung dieses Sachverhalts als Arbeitsunfall wurde von der Berufsgenossenschaft abgelehnt. Das Sozialgericht bestätigte dies in der ersten Instanz, das Landessozialgericht jedoch hob das Berufungsurteil auf und gab der Klage statt.

Im zweiten Streitfall (Az.: L 1 U 1504/17) hatte am Arbeitsplatz des Klägers, einem Warenlager, eine hitzige Diskussion zwischen ihm und einem Kollegen stattgefunden, die bestimmte Arbeitsabläufe zum Gegenstand hatte. Nach circa einer halben Stunde kam es erneut zu einer Eskalation der Situation mit gegenseitigen Beschimpfungen. Schließlich verließ der Kläger seinen Arbeitsplatz, rannte mit gesenktem Kopf auf seinen Kollegen zu und stieß ihm absichtlich mit seinem Kopf in den Rumpf, wodurch beide zu Boden gingen. Dabei zog der Kläger sich einen Halswirbelbruch zu. In diesem Fall wies das LSG die Klage auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab.

Gründe

Im ersten Fall ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Arbeitsunfall vorliegt. Begründet wird dies damit, dass auch der Heimweg von der Arbeitsstätte zurück zur Wohnung noch unter dem Schutz der gesetzlichen Wegeunfallversicherung steht. Auch liegt keine Unterbrechung des Versicherungsschutzes vor, da das Zurücklegen des Weges von der Baustelle die maßgebliche Ursache für die Einwirkungen des Kollegen auf den Kläger darstellt. Es ging darum, dass der Täter das Schließen der Fahrzeugtür und damit die Weiterfahrt verhindern wollte. Private Ursachen für den Streit lagen folglich nicht vor, ursächlich war allein die versicherte Tätigkeit des Klägers als Fahrer des Firmentransporters. Ebenso steht es um den Streit über das Lüften des Autos, auch dieser hatte einen konkreten Bezug zu der versicherten Tätigkeit. Zwar ist der Kläger zwischenzeitlich aus dem Auto ausgestiegen, was jedoch notwendig war, um den restlichen Weg zurückzulegen. Dadurch allein liegt noch keine private Tätigkeit vor. Insgesamt ist der Vorfall also als Arbeitsunfall zu bewerten.

Im zweiten Streitfall kam das LSG zu einem anderen Ergebnis. Um den Angriff auf seinen Kollegen durchzuführen, hatte der Kläger seinen Arbeitsplatz und dadurch auch den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung verlassen. Unschädlich ist dabei, dass der Streit über betriebliche Pflichten geführt wurde und dessen Klärung somit durchaus im betrieblichen Interessen gelegen haben könnte. Dem Kläger ging es jedoch maßgeblich nicht mehr um die Beilegung des Streits, sondern darum, seinen Kollegen zu verletzen. Dies kann unter keinen Umständen als betriebsdienlich anzusehen sein, sodass ein Arbeitsunfall zu verneinen war.

Bewertung

Im ersten Streitfall ist klar, dass es ohne den Rückweg von der Arbeitsstelle nicht zu der Verletzung des Klägers gekommen wäre. Da auch die Heimfahrt von der Versicherung umfasst ist, hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg zu Recht einen Arbeitsunfall bejaht. Anders liegt der zweite Fall. Dort war der Ausgangspunkt der Streit zwischen zwei Lageristen. Wie das Gericht richtig feststellte, kann zwar grundsätzlich bei der Klärung eines solchen Streits ein betriebliches Interesse bestehen. Vorliegend ging es dem Angreifer darum aber gar nicht mehr, sodass er den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung selbst an seinem Arbeitsplatz verlassen hatte. Ein Arbeitsunfall wurde somit folgerichtig abgelehnt.