Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015 – L 1 KR 105/13 

Hintergründe

Strittig ist der sozialversicherungsrechtliche Status des Beigeladenen, welcher als Notarzt für die Klägerin tätig war. Am 12.11.09 beantragten der Beigeladene und die Klägerin den sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin festzustellen. Der Beigeladene gab an, selbstständige Notarzteinsätze bei verschiedenen Arbeitgebern mit eigener Einsatzkleidung abzuleisten. Er übe seine Tätigkeit dabei in eigener Verantwortung und auf sein ärztliches Risiko aus. Vergütet würde er auf Honorarbasis von verschiedenen Auftraggebern und trage sich selbstständig in die Dienstpläne ein. Grundlage für die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin war ein Honorarvertrag vom 21.10.09. In diesem ist vereinbart, dass der Beigeladene selbstständig tätig wird, er in keinerlei Arbeitsverhältnis zur Klägerin steht und er selbstständiger Unternehmer bleibt. Ferner hat er seinen steuerlichen Verpflichtungen selber nachzugehen und keine Ansprüche auf Urlaubs- oder Entgeltfortzahlungen. Ein Weisungsrecht der Klägerin wurde ausgeschlossen. Mit Bescheid vom 29.07.10 stellte die Beklagte fest, dass es sich bei der Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handele. Es bestünde somit eine Sozialversicherungspflicht ab dem Tag der Aufnahme der Beschäftigung. Die Klägerin und der Beigeladene erhoben Widerspruch, diese wurden allerdings von der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen hatte die Klägerin vor dem SG Potsdam Klage erhoben. Das Klagebegehren hatte die Beklagte sodann mit Beschied vom 23.06.11 dahingehend anerkannt, als dass sich nur eine Versicherungspflicht bezüglich der Pflegeversicherung ergebe. Das Sozialgericht hatte den Bescheid aufgehoben. Die zulässige Berufung der Beklagten vor dem LSG blieb ohne Erfolg.

Gründe

Bei der Klageerhebung vor dem Sozialgericht Potsdam trug der Kläger im Wesentlichen die oben genannten Argumente vor und reichte außerdem eine Bescheinigung über das Bestehen einer privaten Pflegeversicherung ein. Das SG hob darauf hin durch Urteil die Beschlüsse der Beklagten vom 29.07.10 und vom 23.06.11 auf. Es sah in der Tätigkeit des Beigeladenen als Notarzt für die Klägerin kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Eine Versicherungspflicht für die gesetzliche Pflege- und Arbeitslosenversicherung bestünde mithin nicht. Die Konstellation sei gleich wie beim sog. Freelancer-Piloten (BSG, Urteil vom 28.05.08 – B 12 KR 13/07 R). Gegen das Urteil richtete sich Berufung der Beklagten. Sie berief sich dabei auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg und ein Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen. Der Beigeladene sei sowohl örtlich als auch räumlich in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Außerdem verträten die Sozialversicherungsträger gemeinschaftlich die Auffassung, dass die Tätigkeit als Notarzt regelmäßig als Beschäftigungsverhältnis zu qualifizieren sei, so würden sie auch nicht rein für die ärztliche Tätigkeit vergütet. Ferner habe der Beigeladenen hier keinem Unternehmerrisiko unterlegen. Die Berufung blieb ohne Erfolg. Das LSG Berlin-Brandenburg führte dazu aus, dass Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit sei. Dies wäre dann der Fall, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht würde, was wiederum vorliege, wenn der Beschäftigte in einen fremden Betrieb eingegliedert sei und weisungsgebunden handele. Zunächst stellte das Gericht fest, dass sich eine Weisungsbefugnis nicht schon allein daraus ergebe, dass öffentlich-rechtliche Vorgaben zu beachten sein. Auch der Vortrag der Beklagten der Beigeladene trage kein Unternehmerrisiko, weil er einen festen Stundensatz erhalte, stelle kein Argument für dessen Selbstständigkeit dar. Das LSG war der Auffassung, dass die Tätigkeit des Notarztes zu den durch die Persönlichkeit des Dienstleisters bestimmten Tätigkeiten gehöre, welche sowohl in der Form einer abhängigen Beschäftigung als auch in selbständiger Tätigkeit erbracht werden können. Nicht die betriebliche Organisation, sondern Fähigkeiten und Kenntnisse des konkret Handelnden seien entscheidend. In dem Honorarvertrag zwischen Klägerin und Beigeladenen sei auch ausdrücklich Weisungsfreiheit festgelegt worden. Der Zwang, sich inhaltlich an Rahmenbedingungen halten zu müssen, führe nicht zur Annahme von Weisungsgebundenheit. Die Zur-Verfügung-Stellung des Rettungsfahrzeuges und eines Bereitschaftsraumes ergäben sich nicht aus der Einrichtung einer Betriebsorganisation, sondern durch direkte gesetzliche Vorgaben (§ 3 Abs. 6ff, § 8 BbgRettG). Insoweit sich die Beklagte auf das Urteil des LSG Baden-Württemberg berufe, sei festzustellen, dass dieses einen anderen Sachverhalt betreffe und der Beklagten somit nicht zum Erfolg verhelfen könne. Auch widerspreche das Urteil nicht dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen. In diesem habe das LSG zutreffend festgestellt, dass es Organisationsformen geben könne, bei denen der Notarzt nicht in die betriebliche Organisation eingegliedert sei.  Die Revision wurde nicht zugelassen.

Bewertung

Das Urteil wiederspricht im Ergebnis dem vorangegangenen Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 18.12.2013 – L 2 R 64/10). Auch geht im Allgemeinen die Tendenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung eher zu Gunsten der Sozialversicherungspflicht des Notarztes.  Zu beachten ist aber, dass es sich immer um Einzelfallentscheidungen handelt. So war in beiden Fällen die Ausgangslage nicht ganz identisch. In seiner Entscheidung stellte das LSG Niedersachsen-Bremen außerdem klar, dass seine Bewertung nicht allgemein ist und es Organisationsformen des Rettungsdienstes geben könne, in denen der Notarzt als Selbstständiger agiert. Das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg geht zwar gegen den Trend, ist in sich aber nachvollziehbar. Es wird abzuwarten sein, ob der Gesetzgeber mit einer Änderung des Sozialversicherungsrechts Klarheit schaffen wird.