Bundessozialgericht: Urteil vom 12.9.2015, B 1 KR 15/14 R

Hintergrund    

Streitig zwischen den Parteien ist die Kostenerstattung einer genetischen Präfertilisierungsdiagnostik (Polkörperdiagnostik–PKD).

Die Klägerin weist einen X-chromosomal-rezessiven Gendefekt auf, der bei männlichen Nachkommen häufig Muskeldystrophie vom Typ Duchenne verursacht. Dabei tritt bereits im jungen Alter zunächst eine Schwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur, die rasch voranschreitet und später den gesamten Muskelapparat betrifft und sodann zum Tode führt, sobald die Herz- und Atemmuskulatur abgebaut wird.

Um die Weitergabe des Gendefekts an das Kind zu vermeiden wurde im Zusammenhang mit einer aufgrund der Fertitlitätsstörung des Ehemannes der Klägerin durchgeführten In-Vitro-Fertilisation (IVF) eine PKD durchgeführt. Die Krankenkasse, die Beklagte, übernahm zwar die Kosten für die IVF, versagte jedoch die Leistungen für eine PKD.

Die Klägerin beantragt die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und des Sozialgerichts Düsseldorfs sowie den ablehnenden Bescheid der Beklagten abzuändern und die Beklagte zur Erstattung der Kosten der PKD in Höhe von 9730,13 € zu verurteilen. Das Landessozialgericht habe den Begriff der Krankheit verkannt. Teil der Krankheit sei nämlich die der Behandlung bedürftigen Funktion, Nachkommen ohne Gendefekt zu zeugen, welche durch eine PKD kompensiert würde. Ein Anspruch bestünde nach § 2 Abs. 1 a SGB V.

Die Beklagte beantragt hingegen die Revision zurückzuweise, da ihre Entscheidung zutreffend sei.

Die Zulässige Revision ist unbegründet. Das Landessozialgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Sozialgericht-Urteil zurückgewiesen. Die PKD fällt nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Klägerin erwächst somit kein Anspruch auf Erstattung der Kosten der selbstverschafften PKD-Leistungen.

Gründe

Sofern die Krankenkasse die Kostenübernahme zu Unrecht abgelehnt und dem Versicherten durch die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, sind diese zurückzuerstatten, soweit die Leistung notwendig war und diese selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Da die Klägerin weder die Anspruchsvoraussetzungen einer Krankenbehandlung noch medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung erfüllt, ist dies nicht anzunehmen. Die Nichteinbeziehung der PKD in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen stellt keinen Verstoß gegen das Verfassungsrecht dar.

Aus § 27 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB V sowie S. 4 kommt kein Anspruch zustande, da die PKD-Behandlung nicht die Erkennung oder Heilung einer Funktionsbeeinträchtigung der Klägerin oder die Verhütung derer Verschlimmerung bezweckt. Wie der erkennende Senat bereits im Rahmen einer Entscheidung zur Präimplantationsdiagnotstik entschieden hat, dient die künstliche Entwicklung eines Embryos und dessen medizinische Bewertung nach medizinischen Kriterien der Vorbeugung von zukünftigen Leiden nicht aber der Behandlung vorhandenen Leidens. Erst recht gelte nichts anderes für die PKD. Auch aus § 8 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetz vermag sich nichts anderes ergeben, da die PKD der Ermittlung genetischer Defekte von befruchteten Eizellen der Mutter im Vorkernstadium dient, und damit vor Abschluss der Entstehung neuen Lebens erfolgt. Des Weiteren ergibt sich kein Anspruch auf PKD als Gegenstand der künstlichen Befruchtung aus § 27 a SGB V als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, da nämlich die Unfähigkeit des Paares ein Kind zu zeugen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung den Versicherungsfall bildet. Die PKD ist zur Herbeiführung einer gewünschten Schwangerschaft weder erforderlich noch nach ärztlicher Einschätzung Erfolg versprechend und somit nicht von § 27 a SGB V erfasst.

Auch verfassungsrechtlich ist die Leistungseingrenzung des § 27 a SGB V allein auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft unbedenklich, da Art. 3 Abs. 1 GG keine Gleichstellung von Behebung einer Fertilitätsstörung mit der Embryonen-Vorauswahl zur Vermeidung erbkranken Nachwuchses bei bestehender Fertilität gebietet.

Auch das Vorbringen der Klägerin, dass eine PKD gegenüber einer grundsätzlich zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörenden späteren Abtreibung rechtsethisch vorzugswürdig sei, vermag nichts an dem Urteil zu ändern, da der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist jede nicht verbotene Form der „medizinisch unterstützten Zeugung menschlichen Lebens in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse einzubeziehen.

Bewertung

Dem Urteil des Bundessozialgerichts ist zuzustimmen. Zwar mag es unmenschlich oder auch unethisch erscheinen, eine Kostenbewilligung in einem derartig gelagerten Fall zu versagen und die Eltern somit zu zwingen ein schwer krankes Kind zu bekommen. Jedoch folgt das Bundessozialgericht zum einen seiner eigenen Rechtsprechung, in der es einen Anspruch auf die PKD als Maßnahme der künstlichen Befruchtung nach § 27 a SGB V verneint. Zum Anderen stellt es die konsequente Umsetzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung dar und zeigt vielmehr den Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers auf. Wie oben aufgeführt entbehrt das Sozialrecht einer rechtlichen Grundlage für einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine PKD. Somit kann das Bundessozialgericht auch nicht rechtlich gestaltend zu einem ‚gerechteren‘ Urteil kommen. Das Urteil zeigt also berechtigterweise auf, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist diese ethische Frage im parlamentarischen Prozess zu klären.