Sozialgericht Berlin, Urteil vom 11.09.2017 – S 11 R  1839/16

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist, ob ein Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente besteht.

2007 lernte die Klägerin ihren späteren Ehemann kennen. Im Dezember 2010 wurde bei diesem Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Im Februar 2011 beantragten die Klägerin und der Erkrankte die Eheschließung beim Standesamt. Ende März 2010 heirateten sie. Anfang Juni 2011, zwei Monate später, verstarb der Ehemann in der Folge der Krebserkrankung.

Der Ehemann war bei der Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, Beklagte, versichert. Die Klägerin, nun Witwe, stellte bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf die Tatsache, dass eine Versorgungsehe durch die Beklagte nicht widerlegt worden ist. (Nach § 46 IIa SGB VI kann die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe – Vermutungsregel bei Todeseintritt innerhalb des ersten Jahres der Ehe – widerlegt werden – Text der Norm: „Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen“). Die Beklagte führte weiter aus, dass die Vorbereitung für die Eheschließung erst mit Kenntniserlangung über das nahende Lebensende des nun Verstorbenen vorgenommen wurde, obschon die Klägerin den Verstorbenen bereits im Jahre 2007 kennengelernt hatte.

Die Klägerin erhob sodann Klage vor dem Sozialgericht (SG). Das SG bejahte einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Witwenrente und verpflichtete die Beklagte zur Gewährung.

Gründe

Das SG erklärte, dass es zur Beurteilung des Vorliegens einer Versorgungsehe einer Gesamtschau bedarf. Bei Überwiegen oder Gleichwertigkeit anderer Erwägungen für eine Ehe statt der Versorgungsabsicht sei die gesetzliche Vermutung widerlegt. Die Beweislast liege beim hinterbliebenen Ehegatten. Die offensichtliche Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit bei Eheschluss gefährdet die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutungsregel, so das SG. Die Dauer einer Beziehung vor Eheschluss sei unerheblich. Eine lang andauernde Beziehung spreche für eine fehelende Absicht zum Eheschluss.

Im Verfahren konnte das SG durch Ermittlungen die Überzeugung gewinnen, dass bereits viele Monate vor der Krebsdiagnose konkrete und ernsthafte Absichten zum Eheschluss vorgelegen haben. Bereits im Laufe des Jahres 2010 seien erforderliche Unterlagen für den Eheschluss durch die Klägerin und den Verstorbenen beschafft worden – die Beschaffung angestrengt worden. Dieser Vorgang dauerte bei beiden Beteiligten aufgrund vormaliger Eheschließungen und anderer Staatsangehörigkeit mehrere Monate.

Das Urteil kann vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit der Berufung angefochten werden.

Bewertung

Der Entscheidung des SG ist zuzustimmen. Das SG hat deutlich gezeigt, dass die Offensichtlichkeit der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutungsregel zur Versorgungsabsicht gefährdet und die Dauer einer Beziehung unerheblich ist, vielmehr eine lange Beziehung die gesetzliche Vermutungsregel stützt. Zudem können Tatsachen, die sich vor dem Eheschluss zugetragen haben, in die Bewertung mit einfließen.