Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.01.2017 – Az. 26 U 30/16

Hintergrund

Die Klägerin, eine Krankenversicherung, verlangt von der beklagten Trägerin eines Krankenhauses Erstattung der Kosten, die sie für eine 2011 verstorbene Patientin aufgewandt haben. Die damals 82-Jährige litt an Demenz wurde aufgrund eines Schwächeanfalls stationär in dem Krankenhaus der Beklagten behandelt. Von Beginn an verhielt sie sich aggressiv, unruhig, verwirrt und desorientiert. Außerdem wollte sie ihre Station verlassen und zeigte Weglauftendenzen. Man verabreichte Neuroleptika, doch selbst damit gelang es nicht, die Patientin ruhig zu stellen. Es wurden weitere Vorkehrungen getroffen, um ein Weglaufen zu verhindern, wie zum Beispiel das Verstellen der Zimmertür mit einem Krankenbett durch die Krankenschwestern. Trotz der Bemühungen des Krankenhauses passierte es dennoch: Am dritten Behandlungstag kletterte die Patientin am späten Abend aus ihrem Zimmerfenster und stürzte auf ein ca. fünf Meter tiefer liegendes Vordach. Dabei zog sie sich erhebliche Verletzungen zu und wurde daraufhin in einer anderen Klinik operativ versorgt. Später verstarb die Patientin in einem Pflegeheim. Die Klägerin hat für die unfallbedingte Heilbehandlung und ein Krankenhaustagegeld insgesamt ca. 93.300 € aufgewandt. Diese verlangt sie nun von der Beklagten ersetzt und begründet dies mit den ihrer Ansicht nach unzureichenden Sicherungsmaßnahmen des Krankenhauses. Die Klage wurde vom Landgericht Arnsberg abgewiesen, das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Klägerin jedoch aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 Gründe

Der Senat ist der Ansicht, dass der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche gemäß §§ 611, 278, 280, 823, 831, 249 ff. BGB i.V.m. § 86 VVG gegen die Beklagte zustehen. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung, die Patientin im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren und soweit es der Zustand der Patientin erfordert, vor Gefahren und Schäden zu schützen, nicht nachgekommen. Damit habe sie gegen ihre vertraglichen Fürsorgepflichten und gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Das Verhalten der Patientin auch am Unfalltag sei unberechenbar gewesen, was sich aus der Dokumentation der Beklagten ergab. Dies bestätigte auch der medizinische Sachverständige. Daraus zog das Gericht den Schluss, dass das Personal einen Fluchtversuch der Patientin hätte in Betracht ziehen müssen. Das Fenster war für dich Patientin über einen davorstehenden Tisch und Stuhl zu leicht zu erreichen gewesen. Das Krankenhaus hätte das Fenster außerdem mit einem verschließbaren Fenstergriff sichern müssen. Alternativ sei auch eine Verlegung in ein ebenerdiges Krankenzimmer möglich gewesen, um den Sturz zu verhindern. Diese Vorkehrungen seien der Beklagten auch möglich und zumutbar gewesen. So kommt das OLG zu dem Schluss, dass das Unterlassen dieser Maßnahmen durch die Beklagte pflichtwidrig war und damit eine Haftung begründet. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

 Bewertung

Dem Urteil des OLG Hamm ist insofern zuzustimmen, dass dem Krankenhaus mit der Aufnahme zur stationären Behandlung nicht nur die Pflicht zu kommt, eine medizinisch korrekte und angebrachte Behandlung durchzuführen, sondern auch Obhuts- und Schutzpflichten gegenüber dem Patienten entstehen. Fraglich erscheint jedoch, ob das Krankenhaus mit der Flucht aus dem Fenster hätte rechnen müssen und ob eine so weitgehende Fürsorgepflicht anzunehmen ist, wo doch bereits verschiedenste Vorkehrungen getroffen wurden.