Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 23. Dezember 2015, 5 U 938/14

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist das Bestehen eines Schadensersatzanspruches wegen fehlerhafter Behandlung während einer stationären Entwöhnung. Geltend macht dies der Kläger für den Patienten als dessen Treuhänder er auftritt.

Der Patient ist seit seinem 20. Lebensjahr alkoholabhängig und hat sich seit dem Jahr 1991 drei Entwöhnungs- und 25 Entgiftungsbehandlungen unterzogen, bei denen es nachträglich immer zu Rückfällen kam. Aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2008 besteht beim Patient ein weitergehender Hörverlust auf der linken Seite sowie ein rezidivierender Drehschwindel.

Im Frühjahr 2010 befand sich der Patient zu einer weiteren achtwöchigen Entwöhnungsbehandlung in der von einer Beklagten betriebenen Suchtklinik, wo derzeit die übrigen Beklagten als Chefarzt, Oberarzt und als Stationsärztin tätig waren. Im Rahmen dieser nahm der Patient an einem umfangreichen Therapieprogramm teil. Am 03.April 2010 klagte der Patient über Tinnitusbeschwerden am linken Ohr sowie über eine Zunahme seines Drehschwindels. Es wurde die Medikation mit Pentoxifyllin® dokumentiert. Sodann wurde ihm die Verlegung in ein nahegelegenes Krankenhaus zur Vorstellung in der dortigen Notfallambulanz angeboten, was der Patient jedoch ablehnte. Am 07. April 2010 wurde der Patient in einer HNO-Praxis vorstellig, wo als Therapieempfehlung die Fortführung der eingeleiteten Medikation sowie die Gabe von SoluDecortin® vorgenommen wurde

Der Kläger trug vor, dass der Patient unmittelbar am Entlassungstag während der Wartezeit auf seinen Rückflug Alkohol konsumiert und dadurch einen Rückfall erlitten habe. Dies resultiere, zumal die Ursache der Abhängigkeit nicht ermittelt und die Therapie dahingehend nicht individuell auf ihn angepasst wurde, aus der unzureichenden Behandlung der Beklagten. Zudem seien die vom Patient beklagten Tinnitusbeschwerden nicht ausreichend behandelt worden, was heute zu verstärktem Schwindel und Tinnitus geführt habe.

Der Kläger beantragt im Rahmen der Berufung die Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000€ zu zahlen. Die Beklagten beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Gründe

Zumal eine Zuordnung einzelner Behandlungsmaßnahmen, die aus Sicht des Klägers standardwidrig gewesen seien, nicht erfolgt sei, fehle es an einer hinreichenden Entscheidungsgrundlage. Seitens der Suchtklinik könne keine sachwidrige Behandlung festgestellt werden, da sich aus der Behandlungsdokumentation umfangreiche Behandlungsmaßnahmen hinsichtlich sämtlicher therapeutischer Aspekte (psychotherapeutische Behandlung, Suchtbehandlung etc.) ergäben.  In Hinblick auf die vergangenen Rückfälle erschließe sich nicht, inwieweit ein vom Patient gefordertes individuelles Therapiekonzept eine Rückfallgefahr habe ausschließen können. Die Tinnitus-Behandlung erfolgte standardgemäß, da am 04. April 2010 eine Behandlung im benachbarten Krankenhaus angeboten, welche aber vom Patient abgelehnt worden sei. Es sei nicht zu beanstanden gewesen, dass die Beklagte als suchtmedizinische Einrichtung zunächst die Behandlungsverantwortung an ein Krankenhaus weiterreicht, um dort entscheiden zu lassen, ob eine weitere, speziellere Versorgung notwendig ist. Auch der Drehschwindel bei dem Patienten sei ausweislich der Dokumentation behandelt worden. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass eine längere als die reguläre Therapiedauer von acht Wochen nicht veranlasst gewesen sei, entkräften den Vorwurf des Klägers, der Patient sei zu früh entlassen worden und vermögen somit keinen Behandlungsfehlervorwurf begründen.

Bewertung

Dem Urteil des Oberlandesgericht Koblenz ist zuzustimmen. Es bestimmt dezidiert das Nichtvorliegen eines Behandlungsfehlers, also eine Verletzung des suchtmedizinischen Facharztstandards, anhand der aufgeführten Beweise. Es stellt durch das Urteil klar, dass allein der Misserfolg der ärztlichen Behandlungsmaßnahme bzw. der Eintritt eines Schadens nicht für eine Haftungsbegründung genügt, sondern vielmehr immer der Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden zu beweisen ist.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Medizinrecht