BGH, Beschluss vom 16. August 2016 – VI ZR 634/15

 

Hintergrund

Der Kläger nahm die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung, insbesondere einem Verstoß gegen Hygienestandards, und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Der Kläger litt zunächst an Beschwerden im rechten Ellbogen. Im November 2009 wurde er wegen eines sogenannten „Tennisarms“ krankgeschrieben. Seiner Berufstätigkeit als Kfz Meister konnte er nicht mehr nachgehen. Nach Überweisung in das beklagte Krankenhaus wurde der Kläger dort am 11. Februar 2010 vorstellig. Unterschiedliche konservative Behandlungsmaßnahmen blieben erfolglos. Die behandelnden Ärzte des Klägers entschieden sich am 4. März 2010 für die Durchführung eines operativen Eingriffs. Dieser erfolgte am 9. März 2010. Die Entlassung erfolgte am 11. März 2010.

Am 19. April wurde der Kläger erneut beim Beklagtenkrankenhaus vorstellig. Er litt unter anhaltenden Schmerzen im rechten Ellenbogen. Es wurde eine deutliche Schwellung über der Ecksensorenplatte festgestellt. Die behandelnden Ärzte entschieden sich für eine Revisionsoperation. Diese wurde für den 30. April 2010 angesetzt. Aufgrund starker Schmerzen und augenscheinlicher Entzündung und Schwellung suchte der Kläger bereits am 23. April 2010 das beklagte Krankenhaus erneut auf. Die behandelnden Ärzte nahmen am selben Tag die Revisionsoperation vor. Aufgrund der indizierten Wundinfektion wurde eine Säuberung der Wunde und die Einleitung einer antibiotischen Therapie vorgenommen.

Am 10. Mai 2010 Konten bei einer Nachuntersuchung keine Auffälligkeiten mehr festgestellt werden. Die Beschwerdesymptomatik verbesserte sich jedoch nicht wesentlich. Am 23. Juni 2010 stellte sich sodann der Kläger erneut beim Beklagten Krankenhaus vor und es wurde ein weiterer Operationstermin für den 28. Juni 2010 angesetzt. Hierbei konnte jedoch kein Keimwachstum mehr festgestellt werden. Jedoch litt der Kläger auch nach der dritten Operation weiterhin unter Bewegungseinschränkung des rechten Ellbogens und Einschränkungen bei körperlicher Belastung.

Der Kläger stellte sich sodann in einer anderen Klinik vor, in der eine radiale kollaterale Bandinstabilität festgestellt wurde, und hiergegen Maßnahmen eingeleitet wurden. Der Kläger leidet weiterhin unter Ruhe- und Belastungsschmerzen.Das Landgericht hatte die Klage gegen das beklagte Krankenhaus abgewiesen. Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Klägers zurück und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen wendete sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof. Diese hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

Gründe

Das Berufungsgericht hatte geurteilt, dass der Beklagten kein Verstoß gegen Hygienestandards vorzuwerfen sei. Insoweit ging der Bundesgerichtshof jedoch zunächst mit der Entscheidung des Berufungsgerichts einher, dass dem Kläger eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko nicht zugute kommt. Das Gericht führte hierzu mit Verweis auf vergangene Rechtsprechung aus, dass bei Verwirklichung eines Risikos, das durch die Behandlungsseite, hier Beklagte, hätte voll beherrscht werden können und müssen, die Beweislast bei der Behandlungsseite läge.

Diese Risiken hingen unmittelbar mit der Vorgehensweise der Behandlungsseite zusammen, und sein unabhängig von den Gefahren und Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus zu betrachten, die der Patientensphäre zuzurechnen sein. Die Vorgänge des lebenden Organismus können, so führte das Gericht aus, nicht vom Arzt hinlänglich unter Kontrolle gebracht werden. Somit beziehen sich die Risiken auf objektive Gefahren.

So müsse mit Verweis auf die streitige Sachlage eine Umkehr der Darlegung-und Beweislast ausgeschlossen werden, da die Infektionsquelle ungeklärt ist. Nur bei Klarheit über die Tatsache, dass der Gesundheitsschaden voll vollkommen durch die Behandlungsseite hätte beherrscht werden müssen, bzw. dieser Sphäre zuzurechnen wäre, würde sich die Beweis-und Darlegungslast umkehren. Einen eben solchen Fall sah der Bundesgerichtshof, wie jedoch auch schon die Berufungsinstanz, hier im streitigen Fall nicht. Der nachgewiesene Keim sei bei jedem Menschen vorzufinden, und demnach nicht direkt der Beklagtenseite zuzuordnen.

Jedoch, und das ist entscheidend, urteilte das Berufungsgericht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in der Sache falsch, dass der Kläger einen Verstoß gegen Hygienestandards nicht bewiesen hätte. Das Berufungsgericht hatte hierzu beanstandet, dass der Kläger nur Mutmaßungen betreffs des Auslösers der Infizierung mit dem Keim angestellt hatte.

Diese Beurteilung hielt der Prüfung durch den Bundesgerichtshof nicht stand. Er führte hierzu aus, dass in der Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend gemacht worden ist, dass keine vollständige Würdigung des Prozessstoffes durch das Berufungsgericht vorgenommen sei, und für den Kläger günstige Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen unberücksichtigt geblieben sind.

Der Kläger hatte unmissverständlich deutlich gemacht, dass er im Nachgang der Operation am 9. März 2010 in einem Zimmer neben einem Patienten mit einem „offenen Knie“ untergebracht worden ist, der auch deutlich ausgeführt und erörtert hatte, dass seine bestehende Infektion nicht „in den Griff“ bekommen werden konnte, führte das Gericht aus. Der gerichtliche Sachverständige hatte hierzu ausgeführt, dass eine solche Unterbringung in einem Krankenzimmer unter speziellen Voraussetzungen, die seitens des Robert Koch Institutes aufgestellt worden sind, nicht zu beanstanden gewesen wäre.

Der Sachverständige hatte hierzu im Berufungsverfahren jedoch verdeutlicht, dass er keine Kenntnis darüber habe, inwieweit diese geltenden Standards des Robert Koch Instituts im Rahmen der stationären Behandlung berücksichtigt worden sind. Diese Aussage des Sachverständigen wurde im Rahmen des Berufungsverfahrens durch das Gericht nicht hinlänglich berücksichtigt, bzw. geradezu zu einem für den Kläger ungünstigen Urteil umgekehrt. Der Sachverständige hatte ferner deutlich gemacht, dass er selbst, er war ebenso Arzt, zur Vermeidung derartiger problematischer Personenkonstellationen eine Zusammenlegung des Klägers mit einem Patienten, der bereits unter einer infizierten Wunde litt, vermieden hätte. Mit Verweis auf bestehende Rechtsprechung und Literaturmeinung hatte der Bundesgerichtshof deutlich gemacht, dass ein konkludentes zu Eigen Machen von Tatsachen, die die eigene Rechtsposition stützen, bzw. hierfür geeignet sind, auch ohne ausdrückliche Erklärung dem Klagevorbringen zugeordnet werden müssen. Deutlich hat der Bundesgerichtshof hierzu ausgeführt, dass der Patient im Rahmen eines derartigen Prozesses klinische Vorgänge und Zusammenhänge nicht vollständig und umfänglich schauen kann und damit eben ein konkludentes Vereinnahmen für das Vortragen der eigenen Position hinlänglich ist.

diese Nichtberücksichtigung der Rechtsposition des Klägers stellte nach Auffassung des Bundesgerichtshofs den Grund für die falsche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht dar. Dies war entsprechend entscheidungserheblich und führte zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts.

 

Bewertung

Der Bundesgerichtshof führte weiter aus, dass eben genau dieses Vortragen für die Auslösung einer erweiterten Darlegungslast zu Ungunsten der Beklagten führt und stellte ebenso heraus, dass medizinische Vorgänge, und die genaue Kenntnis hierüber, von dem Patienten nicht erwartet werden kann. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stellt für die Führung von Arzthaftungsprozessen eine Erleichterung für die Patienten dar, bzw. betont die bereits bestehende Rechtsprechung. Es bleibt abzuwarten, wie das Berufungsgericht die Tatsachen bzw. Wegweisungen des Bundesgerichtshofs in der Sache selbst umsetzt und folgend über den Fall urteilt. Für die ärztliche Praxis gilt wie stets die Wahrung der Vorsicht auf dem schmalen Grad im Kontext der Herausforderungen des angespannten Alltags in Kliniken.