Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom, 2.4.2015 – 5 U 12/14

Hintergrund

Beim Kläger wurde aufgrund eines Bauchaortenaneurysmas eine Aneurysmaresektion und eine Rohrprothesenimplantation im Klinikum der Beklagten zu 1) durchgeführt. Im Rahmen einer Voruntersuchung wurde der Kläger durch die Fachärztin für Chirurgie Frau Dr. K. aufgeklärt und unterschrieb den entsprechenden Aufklärungsbogen. Im Nachgang der Operation litt der Kläger an postoperativen spinalen Ischämie in Höhe des 8. Brustwirbelknochens. Klinisch zeigte sich eine schlaffe Paraparese (Lähmung beider Beine), eine Blasenlähmung und Stuhlinkontinenz. Er begab sich im Anschluss an den stationären Klinikaufenthalt vom 19.07.2010 bis 09.09.2010 in der Neurologischen Klinik des Neurozentrums Niedersachsen zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme

Streitig zwischen den Parteien im Ausgangsverfahren war das Vorliegen eines Behandlungsfehlers sowie die unzureichende präoperative Aufklärung des Klägers, insbesondere, ob auf die Folge einer spinalen Ischämie bei der hier konkret durchgeführten Operation hätte hingewiesen werden müssen bzw. ob dieses Risiko von der vorgenommenen Aufklärung abgedeckt ist.  Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weder ein den Beklagte vorwerfbarer Behandlungsfehler vorliege noch eine unzureichende Aufklärung des Klägers erfolgt sei, abgewiesen.

Im Rahmen seiner Berufung wendet sich der Kläger gegen das klageabweisende Urteil, insofern, dass das Landgericht Bremen festgestellt hat, dass er ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Diese Feststellung sei rechtsfehlerhaft.

Der Kläger beantragt die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie einer Schmerzensgeldrente zu verurteilen. Die Beklagten beantragen die Berufung zurückzuweisen unter Geltendmachung, dass sie hinsichtlich des Risikos einer postoperativen spinalen Ischämie bei der hier in Rede stehenden Operation nicht aufklärungspflichtig gewesen seien und die durchgeführte Aufklärung somit nicht zu beanstanden gewesen sei. Auf das Risiko einer spinalen Ischämie müsse nur bei thorakalen oder thorakoabdominellen, nicht aber bei einer – wie hier durchgeführten – infrarenalen Aorteneingriffen hingewiesen werden.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gründe

Unstreitig ist, dass der Kläger bei dem hier durchgeführten infrarenalen Aorteneingriff nicht ausdrücklich über das Risiko einer spinalen Ischämie aufgeklärt worden ist. Hingewiesen wurde er in dem Aufklärungsgespräch allerdings auf die Möglichkeit der Verletzung von Nerven, Gefäßen und Nachbarstrukturen, wie der Blase, auf die Gefahr einer HIV-Infektion oder einer Impotenz. Die Beweisaufnahme ergebe, dass der Kläger hinsichtlich eines Risikos einer spinalen Ischämie nicht hinreichend aufgeklärt worden sei. Voraussetzung einer den ärztlichen Heileingriff rechtfertigenden Einwilligung des Patienten sei, dass dieser über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche echte Behandlungsalternativen mit gleichwertigen Chancen aber andersartigen Risiken und Gefahren „im Großen und Ganzen“ aufgeklärt worden sei. Dabei genüge es dem Patienten die Schwere und Richtung des Risikospektrums, die Stoßrichtung des Eingriffs, darzustellen. Nach dieser Rechtsprechung obliege es dem aufklärungspflichtigen Arzt nachzuweisen, dass er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht habe und die Einwilligung des Patienten vorliege. Dies umfasse auch grundsätzlich sehr seltene Risiken, wenn deren Realisierung die Lebensführung des Patienten schwer belasten würde und entsprechenden Risiken trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend seien. Von einer Aufklärung möglicher und typischer Schadensfolgen sei lediglich abzusehen, wenn sie nur in seltenen Fällen auftreten und anzunehmen sei, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss in die Behandlung einzuwilligen nicht ernsthaft ins Gewicht fiellen. Maßgeblich dabei sei die Frage, welche Bedeutung das mit dem Eingriff verbundene Risiko für die Entschließung des Patienten im Hinblick auf eine mit seiner Realisierung verbundene schwere Belastung der Lebensführung haben könnte.

 

Der Sachverständige habe ausgeführt, dass die Aufklärung ausreichend erfolgt sei, da die Art der beim Kläger eingetretenen Komplikation bei infrarenalen Aorteneingriffen nicht typisch sei und deshalb darüber auch nicht aufgeklärt werden müsse, zumal das Sterberisiko deutlich höher sei als das einer Rückenmarksschädigung. Bei der spinalen Ischämie handele es sich um ein bekanntes Risiko (0,1%), das jedoch nicht eine typische Komplikation im Rahmen des Ersatzes der infrarenalen Aorta darstelle.

Dieser Auffassung folgt der Senat jedoch nicht. Schließlich handele es sich bei der Ordnungsgemäßheit der Aufklärung um eine Rechtsfrage. Nach der oben aufgeführten Rechtsprechung sei jedoch selbst über ein zahlenmäßig relativ seltenes Risiko aufzuklären, wenn die Realisierung dieses Risikos die Lebensführung des Patienten schwer belasten würde und die entsprechenden Risiken trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff zwar spezifisch, für den Laien aber überraschend sind. Dies sei hier in Hinblick auf die erheblichen Einschränkungen des Klägers der Fall. Dieses Risiko war daher aufklärungspflichtig. Eine derartige Aufklärung ist nicht erfolgt. Jedoch wurde über die alternativ in Betracht kommende Operationsmethode einer endovaskulären Versorgung mit einem Stentgraft aufgeklärt. Wegen der damit verbundenen und dem Kläger auch mitgeteilten höheren Risiken dieser Operationsmethode habe dieser sich aber für den dann durchgeführten offenen infrarenalen Aortenersatz entschieden. Da bei beiden Methoden das Risiko des Eintritts einer spinalen Ischämie nach den Ausführungen des Sachverständigen in etwa identisch sei, liege insoweit eine Aufklärungspflichtverletzung nicht vor. Trotz Vorliegens einer Aufklärungspflicht hinsichtlich der eigentlich durchgeführten Operationsmethode, sei die Berufung zurückzuweisen, weil hier von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers in die Operation auszugehen sei. Denn der Kläger habe nicht plausibel dargelegt, dass er sich bei ausreichender Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte.

 

Bewertung

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bremen überzeugt. Es legt die von der ständigen Rechtsprechung im Medizinrecht gesetzten Maßstäbe für die Aufklärungspflicht zugrunde und setzt diese in der Subsumtion unter den konkreten Sachverhalt konsequent um. Indem es zur eindeutigen Klärung ein Ergänzungsgutachten durchführen lassen hat, ist das Urteil hinreichend belegt.