Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.05.2017 – VI ZR 203/16
Hintergrund
Streitig zwischen den Parteien ist, ob ein Anspruch auf Schadenersatz wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung besteht.
Die Klägerin besuchte eine Vortragsveranstaltung des Beklagten. Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass Störfelder im Kiefer Grund für allgemeine körperliche Beschwerden sind. Am 15. September 2006 ließ sich die Klägerin beim Beklagten im Rahmen von der durch den Beklagten angepriesenen „Herd-und Störfeldtestung“ untersuchen. Der Beklagte diagnostizierte bei der Klägerin „mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderungen von Eiweißverfallsgiften in den rechten Schläfen-und Hinterkopfbereich und bis in den Unterleib“ sowie ein „Kieferknochenenddystrophie-Syndrom“ und einen „stillen Gewebsuntergang im Knochenmark“. Der Beklagte riet der Klägerin zur Ausfräsung des gesamten Kieferknochens. Am 21. September 2006 wurden die Zähne Nr. 14, 15, 16 und 17 im rechten Oberkiefer entfernt und der Kieferknochen an dieser Stelle ausgefräst. Am 7. November konnte sich die Klägerin in einem Zahnlabor selbst eine für sie angefertigte Prothese abholen. Es erfolgte keine Einsetzung, keine Anpassung oder Einweisung in den Umgang mit der Prothese.
Es traten Probleme im Zusammenhang mit der Prothese bei der Klägerin auf.
Die Klägerin suchte einen anderen Zahnarzt auf. Dieser äußerte sich kritisch zu dem durch den Beklagten durchgeführten Eingriff. Am 17. November stellte sich die Klägerin zum letzten Mal erfolglos bei dem Beklagten wegen Problemen mit der Prothese vor. In der Folgezeit suchte die Klägerin andere Zahnärzte auf.
Mit Klage wandte sich die Klägerin an das Landgericht (LG). Sie begehrte die Rückzahlung des geleisteten Honorars (1.187,06 EUR), materiellen Schadenersatz (Folgebehandlungskosten i.H.v. 10.372,22 EUR) und Schmerzensgeld (zumindest 5.000 EUR) und die Feststellung der weitergehenden Einstandspflicht. Das LG gab der Klage überwiegend statt. Die Berufung des Beklagten hatte teilweise Erfolg. Mit der Revision wandte sich der Beklagte an den Bundesgerichtshof (BGH) zur vollständigen Abweisung der Klage.
Der BGH hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung und Verhandlung an das Berufungsgericht, Oberlandesgericht (OLG), zurück.
Gründe
Der BGH kann einen Anspruch auf Schadenersatz aufgrund der vor dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht bejahen.
Der BGH bestätigt, dass die Anwendung nicht allgemein anerkannter Therapieformen grundsätzlich rechtlich erlaubt ist (so u.a. BGH, v. 29.01.1991, VI ZR 206/90, BGHZ 113, S. 297 (301)). Ein Verlassen des Bereichs der Schulmedizin könne nicht automatisch zu einer Bejahung eines Behandlungsfehlers führen.
Der BGH führt aus, dass die Entscheidung eines Arztes für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Therapieform eine „sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor-und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und des Wohls des konkreten Patienten voraussetzt“ (so vergleichsweise BGH, v. 13.06.2006, VI ZR 323/04, BGHZ 168, S. 103). Bei dieser Abwägung dürfen nicht die Untersuchungs-und Behandlungsmethoden der Schulmedizin außer Acht gelassen werden, so der BGH. „Je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist, desto höher sind die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode“.
Der BGH stellt fest, dass das Berufungsgericht die Kausalität zwischen einer radikalen Behandlungsmethode des Beklagten und schwerwiegenden, irreversiblen Gesundheitsschäden bei der Klägerin hergestellt hat. Der BGH macht sich die Ausführungen der Revision zu eigen, dass die Beurteilung des Gerichtssachverständigen nicht ausreichend ist.
Bewertung
Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist zuzustimmen. Das Urteil stellt die Legitimität alternativer Behandlungsmethoden heraus und schärft erneut die Anforderungen, denen alternative Behandlungsmethoden gegenüberstehen.
Alternative Behandlungsmethoden sind wesentlicher Bestandteil der Medizin. Ihnen kann ein entsprechender Raum gegeben werden. Zugleich muss dieser Raum jedoch auch an Grundsätzen und Regularien ausgerichtet werden, um nicht zum rechtsfreien Raum zu werden. Dem hilft das Urteil des BGH weiter ab. Für die ärztliche alternative Praxis bedeutet das Urteil die Berücksichtigung der Schulmedizin.
Es bleibt abzuwarten, wie das OLG in der Sache entscheidet.