Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 04.04.2017 26 U 88/16

Hintergrund

Der heute 9 Jahre alte Kläger wurde im Oktober 2007 im beklagten Krankenhaus unter geburtshilflicher Betreuung zweier mitverklagter Ärzte geboren. Die Ärzte entschlossen sich, nach einem mehrstündigen Kreissaalaufenthalt, während dessen die Kindesmutter und das ungeborene Kind u.a. zeitweise durch eine Cardiotocographie (CTG) überwacht wurden, zu einer Sectio. Der Kläger wurde mit einer Nabelschnurumschlingung entbunden und zeigte in seiner weiteren Entwicklung die Folgen einer hypoxischen Hirnschädigung. Heute leidet der Kläger an einer allgemeinen Entwicklungsstörung, die seinen  Intellekt,  seine  Sprache  und  seine  motorischen  Fähigkeiten dauerhaft  einschränkt, außerdem an  einer  Epilepsie.

Im Rahmen des Verfahrens vor dem Landgericht Paderborn obsiegte der Kläger und erlangte die Verurteilung der Kläger zu einem Schmerzensgeld iHv 175.000,00€.

Im Rahmen seiner Berufung verlangt der Kläger, vertreten durch seine Eltern, die Beklagten als Gesamtschuldner zu einem zusätzlichen Schmerzensgeld, soweit dieser Schaden auf die fehlerhafte geburtshilfliche Behandlung vom 24. Oktober auf den 25. Oktober 2007 zurückzuführen ist, zu verurteilen. Die Beklagten beantragen, das Urteil des Landgerichts Paderborn abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die gegnerische Berufung zurückzuweisen. Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet, während die Berufungen der Beklagten hingegen insgesamt abzuweisen sind.

Gründe

Den beklagten Ärzten seien bei der geburtshilflichen Betreuung der Mutter des Klägers mehrere Behandlungsfehler unterlaufen. So hätten sie es behandlungsfehlerhaft unterlassen, das Geburtsgeschehen mittels einer Dauer-CTG zu überwachen. Zumal bereits das erste CTG als pathologisch zu bewerten gewesen wäre und für eine Sectio gesprochen habe, wäre ab dem zweiten pathologischen CTG für eine ständige ärztliche Präsenz mit einer halbstündigen Kontrolle Sorge zu tragen müssen. Dadurch wäre die Indikation für eine Sectio früher festgestellt und die später vorgenommene Sectio nicht als Not-Sectio durchgeführt werden müssen. Diese sei letztlich aufgrund des vorliegenden pathologischen CTG-Befundes geboten gewesen. Trotzdem sei eine Verfahrensweise gewählt worden, die – auch wegen der Vorbereitung und Durchführung einer Spinalanästhesie- zu einer Überschreitung der EE-Zeit (Entschluss-Entwicklungs-Zeit bis zu einem Kaiserschnitt) um fast das Doppelte geführt hat. Diese Behandlungsfehler seien, zumal es sich dabei um einen eindeutigen Verstoß gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse handele, die aus objektiv ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheinen, weil diese einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürften, als grob einzustufen. Demzufolge hätten die Beklagten in vollem Umfang für die beim Kläger aufgetretenen Schäden zu haften. Dem Kläger käme insoweit eine Beweislastumkehr zugute. Davon umfasst Zur Bemessung des Schmerzensgeldes seien die gravierenden gesundheitlichen Nachteile heranzuziehen. In die Abwägung seien somit die allgemeine als auch geistige Entwicklung des Klägers, die Tatsache, dass dieser in seiner Entwicklung allenfalls die Stufe eines sieben- bis achtjährigen Kindes erreiche sowie, dass der Kläger nie allein leben könne, eingeflossen. Zudem zu berücksichtigen sei, dass der Kläger gegenüber anderen Menschen ein geistiges Defizit habe, was nach Einschätzung des Sachverständigen zu einem besonderen Leidensdruck führe.

Bewertung

Das Urteil des Oberlandesgerichts überzeugt. Es argumentiert stringent anhand gesicherter medizinischer Erkenntnisse und Verfahrensweisen das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und dessen Rechtsfolgen. Durch Einbeziehung der speziellen Leidenssituation des Klägers in die Abwägung zur Bemessung des Schmerzensgeldes wird das Urteil dem Einzelfall gerecht.