Bundessozialgericht Urteil vom 23.5.2017, B 1 KR 27/16 R

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung. Die beklagte Krankenhausträgerin behandelte den bei der klagenden Krankenkasse versicherten S stationär vom 04. bis 29.10.2010. Sie berechnete hierfür 6430,65 Euro (Fallpauschale – Diagnosis Related Group 2010 B17C mit einer oberen Grenzverweildauer von 9 Tagen, Schlussrechnung vom 9.11.2010), die die Klägerin beglich. Die Beklagte bat der Beurteilung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) entsprechend um Erstattung von 3757,84€, da die erforderliche Verweildauer um 16 Tage kürzer gewesen sei. Im Verlauf des Klageverfahrens forderte die Beklagte weitere 1373,05€ und erhob Widerklage. Klage und Widerklage blieben erfolglos. Die Berufung der Beklagten wurden seitens des Landessozialgerichts zurückgewiesen.

Im Rahmen ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 242 BGB. Die Klägerin habe die erste Schlussrechnung beanstandet und nicht auf deren Richtigkeit vertraut. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf zu ändern und die Klägerin zu verurteilen, der Beklagten 1373,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 10. Juni 2012 zu zahlen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

Gründe

Ob der Beklagten tatsächlich ein Vergütungsanspruch iHv 1373,05€ zugestanden habe, kann dahinstehen bleiben, zumal dieser mit Ablauf des Jahres 2011 verwirkt sei. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, sei die Beklagte daran gehindert, einen nach Begleichung der Schlussrechnung vom 9.11.2010 verbliebenen zusätzlichen Zahlungsanspruch im Mai 2012 geltend zu machen.

In Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung richte sich die Zulässigkeit von Nachforderungen eines Krankenhauses wegen Behandlung eines Versicherten über § 69 Abs 1 S 3 SGB V auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkassen einwirkenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach Treu und Glauben in Gestalt der Verwirkung. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Verwirkung seien im Jahr 2012 trotz der von der Klägerin eingeleiteten Auffälligkeitsprüfung nach § 275 Abs 1 Nr. 1, Abs 1c SGB V bereits erfüllt. Die vorbehaltlose Erteilung einer nicht offensichtlich unschlüssigen Schlussrechnung eines Krankenhauses stelle ein solches Verwirkungsverhalten dar. Eine Vertrauensgrundlage entstehe im Anschluss dessen dadurch, dass das Krankenhaus eine Nachforderung weder im gerade laufenden noch nachfolgenden vollen Haushaltsjahr der Krankenkasse geltend macht. Die Krankenkasse vertraue sodann regelmäßig darauf, dass keine weiteren Nachforderungen seitens des Krankenhauses erhoben würden, zumal die Krankenhäuser umfassend über alle Informationen, für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung verfügen. Demzufolge passe die Krankenkasse ihr Verhalten durch Abstandnahme von etwaigen haushaltsrechtlich relevanten Vorkehrungen für den Fall der Unrichtigkeit der Forderung an. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Verwirkung über den Ablauf eines ganzen folgenden Haushaltsjahres hinaus müsse bei einer offensichtlich unschlüssigen Schlussrechnung des Krankenhauses gemacht werden. Dieser, sofern ein offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf zu Gunsten des Krankenhauses besteht, könne sodann noch geltend gemacht werden. Ein solcher sei hier jedoch nicht ersichtlich, zumal die beklagte Krankenhausträgerin nicht die Richtigkeit der Kodierung, sondern die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsdauer in Zweifel gezogen und lediglich dafür Teilerstattung gefordert habe. Dadurch würde seitens des Krankenhauses nicht das Vertrauen der Krankenkasse auf die sachlich-rechnerische Richtigkeit und Vollständigkeit der Schlussrechnung erschüttert, sondern vielmehr die Richtigkeit derer zugrunde gelegt. Mithin habe die Krankenkasse auf den Bestand der Schlussrechnung vertrauen dürfen und der Anspruch des Krankenhauses auf Teilerstattung sei verwirkt und somit nicht durchsetzbar.

Bewertung

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts überzeugt. Im Rahmen der Anwendung des Instituts der Verwirkung wägt es die gegenseitigen Interessen und Rücksichtnahmepflichten der Beteiligten, unter Einbeziehung deren dauerhaften Vertragsrahmens und dadurch ständig professioneller Zusammenarbeit billig ab. Zum einen gleicht die zeitliche Grenze durch das Institut der Verwirkung die schlechtere Position der Krankenkassen hinsichtlich der für eine ordnungsgemäße Schlussrechnung erforderlichen Informationen im Gegensatz zu den Krankenhäusern aus. Zum anderen wird das Bundessozialgericht durch das Aufzeigen der Möglichkeit im Ausnahmefall, trotz der Verwirkung über ein ganzes laufendes Haushaltsjahr hinaus noch effektiv Nachprüfungen in einem angemessenen zeitlichen Rahmen vornehmen zu können, dem Interesse der Krankenhäuser gerecht, welche ansonsten je später im Jahr Schlussrechnungen erfolgen desto weniger Zeit zur Korrektur hätten. Somit kommt das Bundessozialgericht durch die stringente Anwendung zivilrechtliche Grundsätze wie Treu und Glauben zu einem gerechten Ergebnis.