Hintergrund

Um die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie einzudämmen und unter Kontrolle zu halten, werden derzeit – nicht nur deutschlandweit – Maßnahmen ergriffen, die bei genauem Hinsehen erhebliche datenschutzrechtliche Beeinträchtigungen der Privatsphäre der betroffenen Personen vermuten lassen. Als primärer Zweck der Maßnahmen werden insbesondere die Nachverfolgung von Infektionsketten sowie das In-Verbindung-Setzen einzelner Infektionsherde angeführt.

Erfassung von Standorten

Durch das Erfassen von Standortdaten bei Smartphonenutzern, die durch GPS-Funktionen bei Verwendung bestimmter Apps aufgezeichnet werden, könnte ein Aufeinandertreffen von infizierten Personen nachgehalten und eine Ansteckungswahrscheinlichkeit errechnet werden. Kritiker sehen in etwaigen Zwangserhebungen oder der Daten-Weitergabe der jeweiligen Netzanbieter an das Robert-Koch-Institut ohne ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Personen einen elementaren Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien sowie einen tiefgreifenden, nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff. Andere Stimmen in dieser Diskussion verlangen hingegen mittlerweile eine solche Herangehensweise. Zunächst rechtfertige der allumfassende Zweck des Gesundheits- und Lebensschutzes das Erfassen von Standortdaten. Befürworter dieser Ansicht machen sich in diesem Bezug jedoch vermehrt für eine datenschutzfreundliche Ausrichtung dieser Maßnahmen stark und mahnen eine Beachtung datenschutzrechtlicher Interessen der betroffenen Personen an. Eine datenschutzfreundliche Umsetzung könne z.B. durch das anonymisierte Erfassen von Standorten verwirklicht werden.

Tracking-Apps

Eng mit der Erfassung von Standorten im Zusammenhang stehen die sog. „Tracking-Apps“, die GPS- und Funkzellendaten im Hinblick auf Standorte auswerten und weitergeben. Durch das Nachvollziehen des Standortes des Betroffenen, welcher Aufschluss über die Entfernung zu anderen Personen und die genaue Aufenthaltszeit gibt, würde eine nach Entdeckung der Infektion unabdingbare Kontaktrückverfolgung sowie Kontaktaufnahme zu vermeintlich Infizierten immens erleichtern.

In einem schnell eingeleiteten Gesetzgebungsverfahren haben Bundestag und Bundesrat das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ verabschiedet. Das Gesetz schafft im Infektionsschutzgesetz weitreichende Befugnisse des Bundesgesundheitsministeriums, um einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zu begegnen. Eine Regelung zur Abfrage von GPS- und Funkzellendaten ist in dem verabschiedeten Gesetz hingegen nicht mehr enthalten. Die ursprünglich vorgesehene Regelung sollte den Gesundheitsbehörden ermöglichen, „zum Zwecke der Nachverfolgung von Kontaktpersonen“ „technische Mittel“ einzusetzen und von den Anbietern von Telekommunikationsdiensten Verkehrs- und Standortdaten herauszuverlangen.

Bewertung

Die Krise rund um die COVID-19-Pandemie verlangt der Bevölkerung einiges ab. Insbesondere auf vermehrte Grundrechtsbeeinträchtigungen wird man sich wohl einstellen müssen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass etwaige rechtsstaatliche Prinzipien und Schutzmechanismen vernachlässigt werden dürfen. Im Gegenteil gilt es jederzeit und in jedem Zusammenhang Grundrechtsinteressen miteinander abzuwägen und mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit individuell zu entscheiden. Sowohl für die den momentanen Lockdown begründenden Maßnahmen als auch für solche, die durch Datenverarbeitung zur Eindämmung der Ausbreitung und damit zur Aufhebung des Lockdowns führen sollen, müssen grundrechtskonforme Lösungen gefunden werden. Gerade bei einem so tiefgreifenden Eingriff wie der umfangreichen Erfassung von Standortdaten von Bürgern muss stets überprüft werden, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, die den zu erreichenden Zweck mindestens in gleicher Weise fördern können. Ein Ansatz wäre sicherlich die Erhebung anonymisierter anstatt personenbezogener Standortdaten. Daraus wäre zwar zunächst nur ein Ablesen der Mobilität der Bevölkerung im Allgemeinen möglich. Eine Gesamtabwägung aller in Betracht kommenden Einzelumstände kann diesbezüglich allerdings ergeben, dass eine solche Erfassung erstmal ausreicht, wodurch eine personenbezogene Erfassung wohl zunächst nicht verhältnismäßig erscheint. Neben dem Zweck des Grundrechtsschutzes hat sich noch eine weitere Komponente herausgestellt, die durch eine datenschutzfreundliche Herangehensweise erreicht werden würde. Die Effektivität sowie Effizient eines möglichen Datenverarbeitungssystems – und sei es eine Standortdatenerfassung über eine Tracking-App – würden enorm gesteigert werden. Denn nur ein System, dem die Bevölkerung vertraut und von dem sie sich nicht ausspioniert fühlt, birgt das Potenzial in sich, von der breiten Masse angenommen zu werden und zielführend zu sein.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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