Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.9.2107 – VI ZR 529/16
Hintergrund
Der Kläger ließ sich am 24.4.2011 in dem beklagten Krankenhaus von dem ebenfalls beklagten Arzt wegen eines Prostata-Karzinoms operieren. Der Eingriff wurde unter der Verwendung eines Hochfrequenzgerätes (Elektrokauter) durchgeführt. Einen Tag nach der Operation zeigte sich bei dem Kläger eine sehr schmerzhafte Rötung mit Blasenbildung auf beiden Gesäßhälften. Der Vorfall wurde an die Verbrennungsabteilung weitergeleitet, welche eine Verbrennung im Stadium 2a feststellte. Sie wies eine Längenausdehnung von 20 cm und eine Breitenausdehnung von 10 cm auf. Am Tag darauf wurde der Kläger mittels MRT untersucht, wobei ein Ödem der Gesäß- und Rückenmuskulatur entdeckt wurde. Es folgte schließlich die Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Komplikation der Verbrennungen, weshalb der Kläger notoperiert wurde. Das entzündete Binde- und Muskelgewebe wurde entfernt, allerdings war später eine erneute OP zur Entfernung des entzündeten Gewebes erforderlich. Außerdem musste dem Kläger vorübergehend ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. Nach alldem nahm der Kläger das Krankenhaus und den Arzt wegen fehlerhafter Lagerung und/oder Durchführung der Operation sowie unzureichender Aufklärung über die Risiken auf Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Die Klage wurde jedoch sowohl von dem zuständigen Landgericht Bochum als auch von dem Oberlandesgericht Hamm abgewiesen. Daraufhin erhob der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH und hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe
Das OLG hatte die Klage abgewiesen, da sich nach der Ansicht des entscheidenden Senats nicht feststellen ließ, dass den Beklagten ein Behandlungsfehler unterlaufen sei. Insbesondere habe der Kläger eine fehlerhafte Lagerung nicht bewiesen und eine Beweislustumkehr greife nicht ein. Der BGH hat dies anders entschieden. Das Urteil des OLG beruhe auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Dieses grundrechtsgleiches Recht verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und diese in die Entscheidung einfließen zu lassen. Wesentliche Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Geschieht dies nicht, kann auf die Nichtberücksichtigung geschlossen werden. Genau dieses Verhalten hat das Berufungsgericht vorliegend jedoch zu Tage gelegt. Der Kläger hatte behauptet, dass er aufgrund unsachgemäßer Lagerung die Verbrennungen erlitten habe und es bei ordnungsgemäßer Lagerung technisch zu keiner Verbrennung hätte kommen können. Diese Aussagen werden auch durch die beiden Sachverständigengutachten unterstützt. Es lag also Nahe, dass die Aussage des Klägers zutrafen. Das Berufungsgericht hätte dem nachgehen müssen. Denn sollte sich die Behauptung als zutreffend erweisen, würde eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen des voll beherrschbaren Risikos eingreifen. In der Folge hätte dann die Beklagtenseite beweisen müssen, dass sie alle zur Vermeidung des Risikos erforderlichen Vorkehrungen getroffen hatte. Damit liegt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG vor, welche vorliegend auch entscheidungserheblich war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht unter gehöriger Berücksichtigung des Klägervorbringens zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Bewertung
Art. 103 Abs. 1 GG ist ein besonderer Ausdruck des im Grundgesetz verankerten Rechtsstaatsprinzips. Die Aussagen der vor Gericht streitenden Parteien müssen nicht bloß gehört, sondern auch inhaltlich gewürdigt werden. Vorliegend hatte der Kläger bereits in der Klageschrift dargelegt, worin seiner Ansicht nach ein Behandlungsfehler zu sehen war. Dieses Vorbringen stellte sich auch nicht als gänzlich unsubstantiiert dar, zumal er sich zumindest konkludent auf die Aussagen der zwei Sachverständigen berief. Bei einer solchen Sachlage hätte das Gericht diesen Klägervortrag genau untersuchen und einbeziehen müssen, sodass der Ansicht des BGH zu folgen ist.