Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 02.11.2016 – 5 Sa 19/16

Hintergrund

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 13.03.1993 als Angestellter mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden beschäftigt. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag für die Länder (§ 34 Abs. 2 TV-L) kann das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitsgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Das Arbeitszeitkonto des Klägers darf laut Dienstvereinbarung grundsätzlich kein Zeitsaldo von mehr als 20 Minusstunden aufweisen. Sollte es dennoch kurzfristig zu mehr Minusstunden kommen, so sind diese innerhalb eines Monats abzubauen. Seit 2007 war das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mehr störungsfrei und von zahlreichen Abmahnungen geprägt. Seit März 2013 baute der Kläger sodann immer mehr Minusstunden auf und überschritt die zulässige Grenze von 20 um ein Vielfaches. Mitte Juni 2015 wies das Arbeitszeitenkonto des Klägers schließlich 59 Minusstunden auf.

Die Beklagte kündigte dem Kläger daraufhin außerordentlich fristlos, da der Kläger wiederholt gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Einhaltung der Arbeitszeit verstoßen habe. Die vom Kläger dagegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg. Das Landesarbeitsgericht wies sie jedoch ab.

Gründe

Die fristlose Kündigung der Beklagten ist gemäß § 34 Abs. 2 TV-L, § 626 Abs. 1 BGB wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet.

Bereits im Oktober 2014 wurde mit dem Kläger ein Gespräch wegen der Überschreitung geführt und vereinbart, die Minuseinheiten abzubauen. Der Kläger hielt sich jedoch nicht an die Vereinbarung, sondern verletzte die Vorschriften der Dienstvereinbarung weiterhin beharrlich und baute stattdessen seit März 2013 seine Minusstunden kontinuierlich aus. Auch weiteren Aufforderungen die Minusstunden abzubauen, kam er nicht nach. Der Kläger erbrachte damit seine Arbeitsleistung nicht und verletzte die Vertragspflicht beharrlich und in schwerwiegender Wiese mit steigender Tendenz.

Eine Abmahnung als mildere Reaktion auf das Fehlverhalten der Beklagten wäre nicht geeignet gewesen, den Kläger zu vertragstreuem Verhalten anzuhalten, da er sich auch in der Vergangenheit von Abmahnungen nicht hat positiv beeinflussen lassen.

Bewertung

Das Überschreiten der zulässigen Anzahl von Minusstunden kann einen „wichtigen Grund“ für eine fristlose Kündigung darstellen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dann auch im Rahmen der Interessenabwägung nicht mehr verhindert, wenn sich der Vertragsverstoß als Glied in einer Reihe weiterer Vertragsverletzungen zeigt und bereits Abmahnungen erfolgten.

Für eine wie hier vorliegende verhaltensbedingte Kündigung gilt das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Da der Kläger sich in der in jüngster Vergangenheit auch nicht von Abmahnungen beeindrucken ließ, ist davon auszugehen, dass diese weiterhin nicht den gewünschten Effekt hervorbringen.

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich in dem vom LAG Hamburg entschiedenen Kündigungsschutzprozess die fristlose Kündigung als rechtswirksam.

Es liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Erbringung der Arbeitsleistung im Rahmen des vom Arbeitgeber ausgeübten Weisungsrechtes ist eine Hauptleistungspflicht im Arbeitsverhältnis gemäß § 611 BGB. Die Pflichten des Arbeitnehmers ergeben sich vorliegend aus seinem Arbeitsvertrag, den anwendbaren Tarifverträgen (§ 3 TV-L) und Dienstvereinbarungen sowie ggf. Weisungen im Rahmen des Direktionsrechtes. Der Arbeitnehmer schuldet danach eine Arbeitsleistung von 39 Stunden in der Woche.