Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 14.08.2017 – 17 Sa 1540/16
Hintergrund
Die Klägerin war seit 1991 bei der beklagten Sparkasse als Sparkassenangestellte beschäftigt. Am 28.05.2015 hatte die Klägerin, die an diesem Tag als Kassiererin eingesetzt wurde, gegen 09:40 Uhr von einem Geldtransportdienst einen verplombten Geldkoffer entgegengenommen. In dem Koffer sollte sich eine Geldsumme i.H.v. 115.000 Euro in 50-Euro-Scheinen befinden. Das Bargeld hatte die Klägerin einen Tag zuvor selbst bestellt. Nachdem der Koffer ca. 20 Minuten im nur teilweise einsehbaren Kassenbereich, in dem sich die Klägerin zu der Zeit allein befand, stand, öffnete die Klägerin den Koffer alleine. Sie verletzte sich dabei, das bei der Sparkasse geltende Vier-Augen-Prinzip. Nach dem Öffnen des Koffers holte sie einen Kollegen dazu, der im Koffer lediglich eine Packung Wachpulver sowie Babynahrung, aber kein Bargeld vorfand. Die Klägerin behauptete, sie habe den Koffer bei der erstmaligen Öffnung der Plombe ebenfalls mit diesem Inhalt vorgefunden.
Die Beklagte kündigte die Klägerin nach eigenen erfolglosen Aufklärungsbemühungen sowie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft fristlos wegen des dringenden Verdachts einer Straftat. Es gäbe zahlreiche Indizien, insbesondere auffällige finanzielle Transaktionen und für die Bestellung des hohen Geldbetrages habe kein Grund bestanden.
Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.
Gründe
Der Kündigungsschutzklage wird stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Das zwischen beiden Parteien geschlossene Arbeitsverhältnis besteht weiterhin fort.
Im Unterschied zur Kündigung wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung ist eine Kündigung allein wegen eines bestehenden Verdachts (Verdachtskündigung) zum Schutze des Arbeitnehmers lediglich unter strengen Voraussetzungen gerechtfertigt. Es muss insbesondere eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass der Betroffene das fragliche Fehlverhalten wirklich unternommen hat (Dringlichkeit des Verdachts). Im vorliegenden Fall ist es jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass eine andere Person als die Klägerin der Täter ist.
Zudem muss als weitere Voraussetzung einer Verdachtskündigung im Vorfeld der Kündigung in der Regel eine Anhörung des betroffenen Arbeitsnehmers stattgefunden haben. Der Arbeitgeber ist im Rahmen seiner Aufklärungsbemühungen dazu verpflichtet, diese durchzuführen und dem Arbeitnehmer die konkret verdachtsbegründenden Tatsachen mitzuteilen. Eine diesen Anforderungen entsprechende Anhörung hat im Streitfall jedoch nicht stattgefunden.
Bewertung
Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm ist vorliegend zu zustimmen.
Für eine wirksame Verdachtskündigung müssen anders als bei einem erwiesenen Fehlverhalten des Arbeitnehmers enge Voraussetzungen zugunsten des schutzwürdigen Arbeitnehmers erfüllt sein, damit die Kündigung gerechtfertigt ist. Es muss insbesondere eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass der Betroffene das in Frage stehende Fehlverhalten wirklich unternommen hat, d.h. er muss dringend tatverdächtig sein. Außerdem muss eine ordnungsgemäße Anhörung zu den Vorwürfen im Vorfeld der Kündigung vollzogen worden sein. Dementsprechend ist eine Verdachtskündigung auch im Bankensektor nur möglich, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung einer Straftat durch den Arbeitnehmer vorliegt.