Hintergrund

Das Corona-Virus macht auch vor der Justiz nicht halt. In den vergangenen Wochen kam es so zu erheblichen Auswirkungen auf den Gerichtsalltag und die Umstellung auf einen Notbetrieb. Zahlreiche mündliche Verhandlungen vor den Arbeitsgerichten sind einstweilen aufgeschoben worden. Nachdem sich Ingrid Schmidt, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, im Rahmen eines Positionspapiers offen zu einer Digitalisierung der arbeitsgerichtlichen Prozesse bekannt hat, hat nun das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen entsprechenden Gesetzesentwurf (Stand des Entwurfs: 09.04.2020) vorgelegt, der die arbeitsgerichtlichen und auch die sozialgerichtlichen Prozesse im Lichte der Auswirkungen und Maßnahmen infolge der Corona-Pandemie erleichtern soll. Der Entwurf firmiert unter dem Titel „Gesetz zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits-und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID-19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze (COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG)“.

Bisher laufen gerichtliche Verfahren ausschließlich bei physischer Anwesenheit der Parteien ab. Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 128a Abs. 2 ZPO ist eine Zuschaltung einer Prozesspartei lediglich möglich. Weiterhin gilt der Grundsatz der Mündlichkeit. Die Anordnung eines schriftlichen Vorverfahrens, wie allgemein im Zivilprozess gemäß § 276 ZPO möglich, gilt im arbeitsgerichtlichen Prozess nicht. Jedoch gilt auch im arbeitsgerichtlichen Prozess der Grundsatz der Öffentlichkeit, also der Grundsatz des Zugangs für die Öffentlichkeit, § 52 ArbGG i.V.m. § 169 GVG. Auch hiervon sind Ausnahmen möglich, dies gilt aber nicht für Fälle einer Pandemie.

Im Lichte dieser Rechtslage und der aktuellen Pandemie soll nach dem Referentenentwurf nun ein neuer § 114 ArbGG eingeführt werden. Dieser knüpft an den Begriff der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ an, den § 5 Infektionsschutzgesetz festschreibt. Der Entwurf sieht folgenden Wortlaut vor:

㤠114 Infektionsschutz bei epidemischen Lagen von nationaler Tragweite

(1) Abweichend von § 128a der Zivilprozessordnung können die ehrenamtlichen Richter bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes an einer mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus beiwohnen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton auch an diesen Ort übertragen. Gleiches gilt für die Beratung und Abstimmung. Die an der Beratung und Abstimmung Teilnehmenden haben durch organisatorische Maßnahmen die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen; die entsprechende Feststellung ist zu protokollieren.

(2) Die Gerichte für Arbeitssachen können abweichend von § 128a der Zivilprozessordnung bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes anordnen, dass die Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sowie Zeugen und Sachverständige an einer mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus teilnehmen, sofern diese die technischen Voraussetzungen für die Bild-und Tonübertragung in zumutbarer Weise vorhalten können. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton auch an diesen Ort übertragen. Gegen Entscheidungen nach Satz 1 findet die sofortige Beschwerde statt. Sie ist binnen einer Notfrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.

(3) Die Gerichte für Arbeitssachen können die Öffentlichkeit abweichend von § 52 für die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht ausschließen, wenn infolge einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes der erforderliche Gesundheitsschutz nicht anders zu gewährleisten ist.

(4) Entscheidet das Landesarbeitsgericht bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes nach § 128 Absatz 2 der Zivilprozessordnung ohne mündliche Verhandlung, wird die Verkündung durch die Zustellung des Urteils ersetzt.“

(5) Abweichend von § 128 Absatz 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung kann das Bundesarbeitsgericht bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes nach vorheriger Anhörung auch ohne Zustimmung der Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Entscheidet das Bundesarbeitsgericht bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes ohne mündliche Verhandlung, wird die Verkündung durch die Zustellung des Urteils ersetzt.“

Im Ergebnis bedeutet das zusammengefasst:

  • Zuschaltung der ehrenamtlichen Richter via Bild-und Tonübertragung – zugleich Sicherstellung des Beratungsgeheimnisses
  • Möglichkeit der Anordnung durch Gericht, Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sowie Zeugen und Sachverständige via Bild-und Tonübertragung zuzuschalten
  • Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit von Verhandlung, sollte Gesundheitsschutz nicht gewährleistet werden können
  • Landesarbeitsgerichte sollen Urteilsverkündung durch Zustellung des Urteils ersetzen können
  • Das Bundesarbeitsgericht kann nach Anhörung der Parteien ohne deren Zustimmung eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, auch hier soll die Urteilsverkündung durch Zustellung des Urteils ersetzt werden können.

Die Regelungen sollen erstmal bis zum 31.12.2020 gelten und im Grundsatz so auch für die sozialgerichtlichen Verfahren eingeführt werden.

Bewertung

Grundsätzlich ist ein Schritt in Richtung Digitalisierung zu begrüßen, wird er doch aus medizinischer Sicht dem Gesundheitsschutz ein Stück weit gerecht. Die praktische Umsetzung eines solchen Gesetzes begegnet aber technischen Hürden.

Auch wenn der Gesetzesentwurf die digitale Verhandlung nur ermöglicht, wenn betreffende Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sowie Zeugen und Sachverständigen über die erforderliche technische Ausstattung verfügen, liegt hier das Problem. Oftmals mangelt es eben an diesen Voraussetzungen. In der Bundesrepublik mangelt es bis heute an einem flächendeckenden Breitbandausbau. Genauso sind technische Endgeräte erforderlich. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die Justiz die nötigen Geräte hat um am Ende auch handeln zu können. Bei allem Bemühen um Gesundheitsschutz, für den der Entwurf einen wichtigen Beitrag leistet, begegnet die Umsetzung praktischen Problemen.

Dr. iur. Christoph Roos
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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