Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 09.07.2017 – Rechtssache C-190/16

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien war, ob ein Vergütungsanspruch aus einem Arbeitsvertrag über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus für einen Piloten gilt.

Der Kläger war von 1986 bis zum 31. Dezember 2013 bei der Lufthansa als Flugkapitän angestellt. Gemäß einer Zusatzvereinbarung wurde er zur Ausbildung anderer Piloten eingesetzt. Im Oktober 2013 erreichte der Kläger die Altersgrenze von 65 Jahren. Nach dem 31. Oktober 2013 Beschäftigte ihn die Lufthansa nicht mehr. Sie berief sich darauf, dass Piloten nach FCL.065 Buchst. B des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 nicht mehr als Piloten im gewerblichen Luftverkehr tätig sein dürfen. Der Kläger war jedoch vom 31. Oktober bis 31. Dezember 2013 weiterhin Inhaber der allgemeinen Lizenz zum Führen von Verkehrsflugzeugen (ATPL) einschließlich der Musterberechtigung für das Flugzeugmuster Embraer im Flugzeug und im Simulator, der Berechtigung als Type Rating Examiner (TRE) zur Abnahme von Überprüfungen im Flugzeug und im Simulator zum Erhalt oder zur Verlängerung von Lizenzen auf dem Flugzeugmuster Embraer sowie der Anerkennung als Senior Examiner (SEN) zur Abnahme der Überprüfung von Type Rating Examinern (TREs) unabhängig vom Flugzeugmuster.

Vor dem Bundesarbeitsgericht machte der Kläger geltend, dass die Weigerung der Weiterbeschäftigung durch die Lufthansa rechtswidrig ist, und forderte die Zahlung der Vergütung für die Monate November und Dezember 2013.

Insoweit legte das Bundesarbeitsgericht dem europäischen Gerichtshof die Fragen vor, ob die Altersbeschränkung der Verordnung mit der Grundrechtecharter im Hinblick auf das dort verankerte Diskriminierungsverbot und die Berufsfreiheit vereinbar ist. Er befragte das Gericht, ob der Begriff „gewerblicher Luftverkehr“ der streitgegenständlichen Verordnung auch sogenannte Leerflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunternehmens umfasst, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder Post befördert werden und ob unter diesen Begriff die Ausbildung und Abnahme von Prüfungen, bei denen der über 65 Jahre alte Pilot sich als nicht fliegendes Mitglied der Crew im Cockpit des Flugzeugs aufhält.

Der Europäische Gerichtshof konnte kein Ergebnis im Hinblick auf eine Diskriminierung oder einen Eingriff in die Berufsfreiheit ausgehend von der Verordnung feststellen. Er legte die streitgegenständliche Verordnung im Hinblick auf den Begriff „gewerblicher Luftverkehr“ dahingehend aus, „dass er dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, weder verbietet, als Pilot Leer-oder Überführungsflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunternehmens durchzuführen, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder Post befördert werden, noch – ohne Mitglied der Flugbesatzung zu sein – , als Ausbilder und/oder Prüfer an Bord eines Luftfahrzeugs tätig zu sein“.

Gründe

Der Europäische Gerichtshof lehnte eine Ungleichbehandlung und damit Diskriminierung wegen des Alters in dieser Sache ab. Er stellte fest, dass das Ziel der Gewährleistung der Flugsicherheit einen rechtmäßigen Zweck darstellt. Bei der Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluftfahrt in Europa handele es sich um eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung.

In Bezug auf die Altersgrenze ausgehend von der streitgegenständlichen Verordnung stellt der europäische Gerichtshof fest, dass der Unionsgesetzgeber diese Altersgrenze aufgrund der größeren technischen Komplexität der Luftfahrzeuge und der höheren Anzahl betroffener Personen im gewerblichen Luftverkehr gezogen hat. Dieser Gesichtspunkt spricht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die streitgegenständliche Maßnahme.

Der Europäische Gerichtshof stellt ferner fest, dass Piloten „wesentliches Glied“ der Luftfahrt sind und ihre Kompetenz eine der Hauptgarantien für die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Zivilluftfahrt ist. Es stehe dem Unionsgesetzgeber frei sich für eine Festlegung einer Altersgrenze zu entscheiden, wenn diese Festlegung auf objektiven Tatsachen gründet. Die Ziehung der Altersgrenze sei Ergebnis intensiver Fachdiskussionen und gebe völkerrechtliche Vorschriften auf dem Gebiet der internationalen gewerblichen Luftfahrt wieder. Eine Verpflichtung des Unionsgesetzgebers zur Einführung individueller Prüfungen der körperlichen und psychischen Fähigkeiten jedes Inhabers einer Piloten Lizenz bestehe nicht. Zudem sei der Inhaber einer Pilotenlizenz nicht dazu gezwungen endgültig das Gebiet der Luftfahrt zu verlassen.

Die streitgegenständliche Verordnung stehe mit Art. 21 Abs. 1 der Charta im Einklang. Eine Diskriminierung bestehe nicht.

Art. 15 Abs. 1 der Charta verankert die Berufsfreiheit. Die streitgegenständliche Verordnung beschränkt die Berufsfreiheit durch die Altersgrenze. Auch diese Beschränkung, wie die Diskriminierung, muss unter Verhältnismäßigkeitsaspekten beurteilt werden.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Einschränkung durch die Altersgrenze nicht den Wesensgehalt der Berufsfreiheit antastet. Die Altersgrenze stelle nur eine bestimmte Einschränkung dar. Auch zur Beurteilung der Berufsfreiheit führt der europäische Gerichtshof die Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Sicherheitsniveaus der Zivilluftfahrt in Europa an und schließt somit unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Beeinträchtigung des Art. 15 Abs. 1 der Charta durch die streitgegenständliche Verordnung aus. Die bereits dargestellte Auslegung des Begriffs „gewerblicher Luftverkehr“ begründet der Gerichtshof mit dem Wortlaut und betont, dass dieser Begriff ausdrücklich die entgeltliche Beförderung von Fluggästen, Fracht oder Post definiert. Leer-und Überführungsflüge fallen hierunter nicht, ebenso wie die Flüge im Zusammenhang mit der Ausbildung und Prüfung von Piloten.

Bewertung

Der Entscheidung des europäischen Gerichtshofes ist uneingeschränkt zuzustimmen die im Verfahren durch den Kläger vorgetragenen Argumente können nicht durchgreifen. Die Ziehung einer Altersgrenze für Piloten ist unter Sicherheitsaspekten wie unter rein praktischen Aspekten der Kontrolle anzunehmen und im Sinne des Gemeinwohls zu respektieren und akzeptieren. Die Grenze steht, wie der Gerichtshof ausarbeitet, auch im Einklang mit der Grundrechtecharta.