Bundesgerichtshof Urteil vom 7. September 2017 – III ZR 71/17

Hintergrund

Der Kläger macht einen Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung, die er bei einem Polizeieinsatz erlitt.

Am 23. Oktober 2010 wurde aus einem fahrenden PKW ein Schuss auf ein Döner-Restaurant in einem hessischen Ort abgegeben. Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Der Kläger und ein Mitarbeiter, auf die die grobe Personenbeschreibung der Täter passten, befanden sich im Verkaufsraum der Tankstelle. Deswegen gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handele, und liefen nach dem Eintreffen der Verstärkung in den Tankstellenverkaufsraum. Aufgrund der Vermutung, dass der Kläger und sein Mitarbeiter Schusswaffen bei sich führten, forderten sie diese zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Während dessen erlitt der Kläger eine Schulterverletzung. Sodann stellte sich heraus, dass die beiden nichts mit der Schussabgabe zutun hatte und die Handschellen wurden abgenommen.

Den Vorinstanzen zufolge, hätten die Polizeibeamten in Anbetracht der Sachlage rechtmäßig unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung gemäß § 163b Abs. 1 StPO angewendet. Jedoch habe der Kläger einen Entschädigungsanspruch aus Aufopferung. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haben das Land- und das Oberlandesgericht allerdings nur einen Ausgleich für den erlittenen materiellen Schaden zuerkannt, wohingegen die Schmerzensforderung unbegründet sei.

Gründe

Unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung hat der III. Zivilsenat erkannt, dass der Entschädigungsanspruch aus Aufopferung auch den Ausgleich immaterieller Schäden, mithin auch ein Schmerzensgeld, umfasse.

In seiner früheren Grundentscheidung (13. Februar 1956 III ZR 175/54, BGHZ 20, 61, 68 ff) führte dieser aus, dass ein Ersatz für immaterielle Schäden nur in jeweils ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen geschuldet sei. Für den allgemeinen Aufopferungsanspruch, der sich gewohnheitsrechtlich aus §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 entwickelt habe, fehle eine entsprechende Bestimmung.

Ein solcher gesetzlicher Wille, die Ersatzpflicht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter grundsätzlich auf daraus folgende Vermögensschäden zu beschränken, könne, so das jetzige Urteil, nicht mehr angenommen werden. Der Gesetzgeber habe mit dem zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber von diesem Grundsatz, auf dem das Urteil vom 13. Februar 1956 basierte, Abstand genommen. Selbiges ergebe sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt werde. Zuletzt hätten auch eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet werde.

Bewertung

Dem Urteil des Bundesgerichtshofes ist uneingeschränkt zuzustimmen. So adaptiert der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung der Dynamik der Gesetzgebung entsprechend. Zudem wäre es auch unbillig, demjenigen, der zwar Opfer rechtmäßiger, aber durch ihn nicht veranlasster, Behördenmaßnahmen würde, die Zubilligung von Schmerzensgeld zu versagen.