Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2017 L 7 AL 36/16

Hintergrund

Die 1955 geborene Klägerin war als Einzelhandelsverkäuferin in Schleswig-Holstein tägig. Im Jahre 2011 lernte sie ihren jetzigen Lebensgefährten kennen, der im Landkreis Nienburg als Hausmeister und Gärtner arbeitet. Sie verbrachten die gemeinsame Freizeit zusammen, wirtschafteten aus einem Topf und sorgten im Krankheitsfall für einander. Die Klägerin wollte mit ihrem Lebensgefährten zusammenziehen und zwecks dessen eine neue Stelle in dessen Umkreis suchen. Nachdem jedoch mehrere Bewerbungen zunächst erfolglos waren, kündigte die Klägerin ihre Stelle, zog zu ihrem Lebensgefährten und meldete sich arbeitsuchend.

Die Klägerin erhielt jedoch kein Arbeitslosengeld, da die Bundesagentur für Arbeit eine Sperrzeit verhängt hatte. Die Klägerin habe nämlich ohne „wichtigen Grund“ gekündigt. Ein wichtiger Grund liege beim erstmaligen Zusammenziehen nur vor, wenn ein Verlöbnis bestehe und eine baldige Eheschließung folge.

Gründe

Dass die Bundesagentur für Arbeit den familienrechtlichen Status als Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Sperrzeitvorschrift bei Arbeitsaufgabe wegen Umzugs nimmt, scheint nicht mehr zeitgemäß. Zweck der Sperrvorschrift sei der Schutz der Versichertengemeinschaft vor einer Manipulation des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit. Der Charakter einer Strafvorschrift oder eines Instruments zur Durchsetzung von gesellschaftspolitischen Vorstellungen solle ihr demnach nicht zukommen. Der wichtige Grund sei kein Privileg für Ehegatten, sondern gelte uneingeschränkt für alle Arbeitslosen in ihrer aktuellen und spezifischen Lebenssituation. Auch unabhängig vom familiären Status seien gewichtige Gründe denkbar, die einen Umzug zum Partner vernünftig erscheinen lassen. Somit wäre auch kein Anlass einer Sanktion der Arbeitsaufgabe als versicherungswidriges Verhalten gegeben. Schließlich belege die Partnerschaft der Klägerin, welche durch Kontinuität, Verantwortung und Fürsorge geprägt sei, dass die Arbeitsaufgabe kein versicherungswidriges Verhalten darstelle.

Bewertung

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bricht mit seinem Urteil mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dies ist hinsichtlich der sich stetig wandelnden Gesellschaft zu begrüßen.

Den familiären Status als Anknüpfungspunkt zu wählen, erscheint vor dem Hintergrund, dass sich eine Arbeitsaufgabe unabhängig dessen durch gewichtige Umstände, wie etwa gesundheitliche Gründe, Wohnungsmarkt, Schwangerschaft und finanzielle Situation, sehr wohl begründen ließen, willkürlich.

Die Öffnung der Anwendbarkeit der Sperrklausel für alle Arbeitnehmer unabhängig von deren familiären Status birgt zwar die Gefahr einer Ausnutzung des Sozialsystems. Jedoch kann dies durch das Erfordernis eines wichtigen Grundes vermieden werden. Letzteres stellt einen viel flexibleren Mechanismus dar, welcher durch Anpassung der Anforderungen an einen wichtigen Grund stets dem gesellschaftlichen Wandel gerecht wird.