Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 04.07.2017 26 U 3/17

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist das Vorliegen eines Behandlungsfehlers im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung zur Vorbereitung einer implantologischen Therapie bei nichtangelegten Zähnen.

Bei der 1995 geborenen Klägerin sind mehrere bleibende Zähne nicht angelegt. Verblieben sind aber drei Milchzähne. Ab dem Jahr 2012 befand sich die Klägerin in kieferorthopädischer Behandlung in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten.

Nach dem von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplan vom 03.12.2012 sollten die nicht angelegten Milchzähne nach einer späteren Extraktion durch Implantate ersetzt werden. Es bestand jedoch Einigkeit darüber, dass die Milchzähne solange wie möglich erhalten bleiben sollten. Die implantologische Versorgung war nicht in näherer Zukunft geplant.

Am 25.03.2013 sowie am 28.04.2013 erfolgte eine seitliche Reduktion (Slicen)der Milchzähne der Klägerin durch die Beklagten. Die Klägerin macht einen Behandlungsfehler der Beklagten darin geltend, dass die geslicten Milchzähne nach dem Beschleifen nicht versiegelt wurden. Durch die Entfernung des Zahnschmelzes seien die Zähne stark temperaturanfällig gewesen und es habe sich innerhalb kürzester Zeit Karies an den Zähnen gebildet, was schließlich zwei Implantate erforderlich gemacht haben sollte. Anderenfalls hätte sie einfach ihre Milchzähne behalten und wie bleibende Zähne benutzen können. Diese Behandlungsmethode, so die Klägerin, sei nie zur Sprache gekommen. Auch wurden keine Behandlungsalternativen besprochen.

Die Beklagten hingegen machten geltend, dass die Milchzähne aufgrund des Behandlungsplans in ihrer Breite reduziert und anschließend versiegelt worden wären und dieses Vorgehen mit der Mutter der Klägerin besprochen worden wäre. Die seitliche Reduktion der Milchzähne sei erforderlich gewesen, um die Milchzähne auf die Breite der bleibenden Zähne zu reduzieren, damit später passgenaue Implantate gesetzt werden könnten. Behandlungsalternativen zu der geplanten Implantatversorgung habe es nicht gegeben.

Das Landgericht Detmold hat dem Begehren der Klägerin stattgegeben. Die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Beklagten vor dem Oberlandesgericht Hamm war zwar zulässig aber nicht begründet.

Gründe

Das Behandlungsergebnis, bei dem als Folge des Slicens eine ungleichmäßige Oberfläche entstanden und zu viel Material abgetragen worden sei, sei dem Sachverständigen zufolge, dem sich der Senat anschließe, insgesamt als grob behandlungsfehlerhaft anzusehen. Grund hierfür sei vor allem, dass durch die Dentinwunden die Qualität der Milchzähne herabgesetzt und damit ihre Langzeitprognose verschlechtert worden seien, die als Behandlungsziel doch gerade möglichst lang erhalten bleiben sollten. Milchzähne sind wesentlich empfindlicher als bleibende Zähne und weisen eine deutlich dünnere Schmelzschicht auf, weshalb es beim Beschleifen zu deutlich größeren Beeinträchtigungen kommen könne.

Angesichts der sich aus dem groben Behandlungsfehler ergebenden Beweislastumkehr sei den Beklagten auch zuzurechnen, dass an zwei der beschliffenen Milchzähne bereits kurze Zeit nach der Behandlung Karies aufgetreten sei. Gleiches gelte für den Umstand, dass das Beschleifen die Langzeitprognose der Milchzähne verschlechtert habe, auch wenn sich nicht sicher feststellen ließe, wie lange sich die Milchzähne in diesem Zustand erhalten ließen.

Bewertung

Die Zähne nehmen eine zentrale optische Rolle im Gesicht ein. Zudem sind sie auch entscheidender Faktor für das Wohlbefinden. Das durch die Beklagten angestrebte harmonische Behandlungsergebnis, war weder für die Kaufähigkeit noch für die Zahnpflege erforderlich. Die Klägerin hatte dadurch also keinen Vorteil.  Der Eingriff war weder erforderlich noch wurde dieser sachgemäß durchgeführt. Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm ist diesen Eingriff als Behandlungsfehler einzustufen ist also zu begrüßen. Zumal die Behandlung evident nachteilig war, wie bereits die erste Instanz feststellte, vermögen etwaige Entlastungsversuche der Beklagten nicht durchgreifen.