Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 23.01.2018 – 26 U 76/17

Hintergrund

Im April 2008 nahm die heute 62 Jahre alte Klägerin wegen einer Belastungsharninkontinenz die Dienste der urodynamischen Sprechstunde eines Krankenhauses in Siegen in Anspruch. Nach der dortig erfolgten Diagnose wurde der Klägerin das operative Einsetzen eines Netzes empfohlen. Dabei handelte es sich um eine im Jahr 2008 noch nicht allgemein eingeführte, sog. Neulandmethode. Es folgte ein weiteres ärztliches Aufklärungsgespräch, in dessen Anschluss sich die Klägerin mit dem neuen Operationsverfahren einverstanden erklärte. Der operative Eingriff erfolgte noch im April. In der Folgezeit litt die Klägerin an einer Dyspareunie und einer restlichen Harninkontinenz. Bis zum April 2009 unterzog sie sich fünf weiteren Operationen, bei denen weite Teile des Netzgewebes entfernt wurden. Danach verblieben persistierende Schmerzempfindungen.

Die Klägerin war u.a. der Ansicht, unzureichend über alternative Behandlungsmethoden und Risiken der Neulandmethode aufgeklärt worden zu sein. Sie forderte von der Beklagten – der Trägerin des Krankenhauses – Schadensersatz, insbesondere ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 50.000 €. Nach dem Einholen eines gynäkologischen Sachverständigengutachtens hat das LG der Klage teilweise stattgegeben und der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 35.000 € zugesprochen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos.

Gründe

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schmerzensgeldzahlung i.H.v. 35.000,00 €, vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht gem. §§ 611, 278, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB sowie gem. §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.

Der im Krankenhause der Beklagten im April 2008 durchgeführte operative Eingriff war rechtswidrig. Er war nicht von einer wirksamen Einwilligung der Klägerin gedeckt, weil diese zuvor fehlerhaft über die unzureichende Erfahrung mit den möglichen Folgen des neuen Operationsverfahrens aufgeklärt worden war. Zwar war die Klägerin neben der Neulandmethode auch über ein standardisiertes, klassisches Operationsverfahren aufgeklärt worden. Ihre Aufklärung über die Neulandmethode war allerdings unzureichend.

Die Klägerin war nicht in hinreichender Weise auf die seinerzeit noch nicht abschließend bekannten Risiken der neuen Methode hingewiesen worden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hatte das neue Verfahren im Jahr 2008 zwar als erfolgversprechender als die bisherige, klassische Methode gegolten. Allerdings hatte es damals in Deutschland noch keine belastbaren Informationen über konkrete Risiken der angewandten neuen Methode gegeben. Die klinische Erprobungsphase des seit dem Jahre 2005 zunächst in den USA eingesetzten Verfahrens war noch nicht abgeschlossen.
Insbesondere war noch nicht bekannt gewesen, dass das Einsetzen eines Netzes im Beckenbodenbereich massive gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann.

Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin explizit darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich um ein neues, noch nicht abschließend beurteilbares Verfahren handelt. Ihr hätte ausdrücklich verdeutlicht werden müssen, dass auch unbekannte Komplikationen auftreten können. Als Patientin hätte sie in die Lage versetzt werden müssen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob sie sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken operieren lassen will oder nach der neuen Methode unter Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. Diesen gesteigerten Anforderungen hatte die Aufklärung im Haus der Beklagten nicht genügt.

Bewertung

Die Informationspflichten von Ärzten gegenüber ihren Patienten haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und sind immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung.

Die Einwilligung einer Patientin in eine Operation mit einer neuen, noch nicht allgemein eingeführten Methode (sog. Neulandmethode) ist unwirksam, wenn die Patientin nicht besonders darauf hingewiesen wird, dass es sich um ein neues Verfahren handelt, bei dem auch unbekannte Risiken auftreten können. Die mit einer unwirksamen Einwilligung vorgenommene Operation ist dann rechtswidrig und kann Schadensersatzansprüche der Patientin begründen.