Bundessozialgericht Urteil vom 19.12.2017 AZ B 1 KR 18/17 R

Hintergrund

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. Sie behandelte den bei der beklagten Krankenkasse Versicherten vollstationär vom 19.01. bis 01.02.2011 wegen eines generalisierten epileptischen Anfalls mit Verdacht auf Aspirationspneumonie und Tachypnoe. Der Versicherte wurde intensivmedizinisch versorgt und zur Stabilisierung der Atmungs- und Kreislaufsituation insgesamt 77 Stunden intermittierend beatmet (NIV-Beatmung).

Die Klägerin berechnete die Fallpauschale 2011 DRG A13G (Beatmung) und erhielt hierfür 10 685,48 €. Die Beklagte forderte später vergeblich 6174,49 Euro auf der Grundlage mehrerer Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zurück. Abzurechnen sei die geringer vergütete DRG B76C. Die Beklagte rechnete in dieser Höhe mit unstreitigen Rechnungsbeträgen der Behandlung anderer Versicherter auf.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin 6174,49 Euro nebst Zinsen zu. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 109 Abs. 4 S 3 SGB V iVm § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz, § 1 Abs 1, § 7 Abs. 1 S 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Krankenhausentgeltgesetz und den Regelungen der DKR zur Berechnung der Beatmungsdauer. Einer Entwöhnung müsse eine länger andauernde kontrollierte Beatmung vorausgehen. Der Patient müsse vom Beatmungsgerät abhängig und zu einer dauerhaften Spontanatmung aufgrund einer Schwäche der Atemmuskulatur (noch) nicht in der Lage sein. Vorliegend sei die NIV-Maskenbeatmung lediglich zur Stabilisierung der Atmungs- und Kreislaufsituation eingesetzt worden, ohne dass eine Abhängigkeit vom Beatmungsgerät eingetreten sei.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg und des Sozialgerichts Ulm aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die zulässige Revision der beklagten KK ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts ist aufzuheben.

Gründe

Die Berechnung der Dauer der Beatmung beginne mit dem Einsetzen der maschinellen Beatmung und ende mit der Verlegung eines Patienten, der eine künstliche Beatmung erhält. Die Dauer der Entwöhnung werde insgesamt (inklusive beatmungsfreier Intervalle während der jeweiligen Entwöhnung) bei der Berechnung der Beatmungsdauer eines Patienten hinzugezählt. Es könne mehrere Versuche geben, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Das Ende der Entwöhnung könne nur retrospektiv nach Eintreten einer stabilen respiratorischen Situation festgestellt werden. Eine stabile respiratorische Situation liege vor, wenn ein Patient über einen längeren Zeitraum vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atme. Zur Entwöhnung vom Respirator zähle auch die maschinelle Unterstützung der Atmung durch intermittierende Phasen assistierter nichtinvasiver Beatmung bzw Atemunterstützung wie z.B. durch Masken-CPAP/ASB oder durch Masken-CPAP jeweils im Wechsel mit Spontanatmung ohne maschinelle Unterstützung.

Im speziellen Fall einer Entwöhnung mit intermittierenden Phasen der maschinellen Unterstützung der Atmung durch Masken-CPAP im Wechsel mit Spontanatmung sei eine Anrechnung auf die Beatmungszeit nur möglich, wenn die Spontanatmung des Patienten insgesamt mindestens sechs Stunden pro Kalendertag durch Masken-CPAP unterstützt wurde. Die Berechnung der Beatmungsdauer ende in diesem Fall nach der letzten Masken-CPAP-Phase an dem Kalendertag, an dem der Patient zuletzt insgesamt mindestens sechs Stunden durch Masken-CPAP unterstützt wurde.

Es stehe nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht fest, dass die Klägerin den Versicherten von der maschinellen NIV-Beatmung wegen vorausgegangener Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eigens entwöhnte mit der Folge, dass dies die Klägerin zur Kodierung von mehr als 95 Beatmungsstunden berechtigte. Sofern sich nicht feststellen lassen sollte, dass beim Versicherten eine Gewöhnung zunächst eingetreten war, schließt dies die Annahme einer nachfolgenden Entwöhnung aus. Die von der Klägerin abgerechnete DRG A13G setzt eine Beatmungszeit von mehr als 95 Stunden, nämlich mindestens 96 Stunden voraus, da nur volle Stunden kodierfähig sind.

Der Versicherte sei während seines stationären Aufenthalts nach den Feststellungen des LSG intermittierend mit Maske (Beatmungszeiten unter der Maske wechselten sich mit beatmungsfreien Intervallen ab, in denen der Versicherte spontan atmete) beatmet worden. Die reinen Beatmungszeiträume hätten nach DKR 1001h gerundet 77 Stunden betragen. Die Beatmungszeit sei nur dann mit mehr als 95 Stunden anzusetzen, wenn die beatmungsfreien Intervalle ohne Maske als Entwöhnung iSd DKR 1001h im oben dargelegten Sinne einzubeziehen seien. Das LSG müsse die hierzu erforderlichen Feststellungen im Wege des Beweises durch medizinische Ermittlungen nachholen.

Bewertung

Das Bundessozialgericht orientiert sich strikt an den für das in Frage stehende DRG erforderlichen Werten. Dadurch schafft das Bundessozialgericht durch sein Urteil Einzelfallgerechtigkeit. Das Urteil ist dadurch  zudem im Einklang mit den Vergütungsregelungen nach der deutschen Kodierrichtlinie. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nämlich nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt.