Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.06.2017 – VII ZR 36/14

Hintergrund

Streitig zwischen den Parteien ist die Gewährung eines Schmerzensgeldes nicht unter 40.000€ und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftig entstehende materielle Schäden.

Die Klägerin hatte sich im Dezember 2008 in Deutschland Silikonbrustimplantate eines in Frankreich ansässigen und derweil in Insolvenz gefallenen Unternehmen einsetzen lassen. 2010 stellte die zuständige französische Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate dem Qualitätsstandard zuwider minderwertiges Industriesilikon verwendet wurde. Daraufhin ließ sich die Klägerin 2012 auf ärztlichen Rat diese wieder entfernen.

Bei Silikonbrustimplantaten handelt es sich um Medizinprodukte, die nur nach Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahren nach § 6 Abs. 2 Satz 1, § 37 Abs. 1 Medizinproduktgesetz (MPG), § 7 Abs. 1 Nummer 1 Medizinprodukte-Verordnung (MPV) in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte, in den Verkehr gebracht werden dürfen. Bestandteil dieses Konformitätsbewertungsverfahrens ist die Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung. Dazu hat der Hersteller eine entsprechende Stelle zu beauftragen.

Durch Beauftragung der Beklagten ist dies seitens des Herstellers erfolgt. Die Klägerin macht geltend, dass die Beklagte diesen Aufgaben nicht hinreichend nachgekommen ist. So hätten unangemeldete Inspektionen, eine Sichtung der Geschäftsunterlagen und eine Produktüberprüfung die Herstellung von Silikonbrustimplantaten mittels Industriesilikon entdecken und deren Verwendung verhindern können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Handhabung der Beklagten angemeldete Besichtigungen zum Zwecke der Überwachung durchzuführen, ausreichend gewesen seien, Verdachtsmomente, die Veranlassung zur Einleitung weitergehender Maßnahmen, nicht gegeben gewesen wären. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Gründe

Der für die Haftung wegen fehlerhafter Gutachten zuständige Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 9.April.2015 dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14.Juni 1993 über Medizinprodukte folgende Fragen vorgelegt:

Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht obliegt?

Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG, dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen?

Diese Fragen hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 16.Februar 2017 wie folgt beantwortet.

Die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte sei dahingehend auszulegen, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliege, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten, es sei denn, dass Hinweise darauf vorlägen, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42 in der durch die Verordnung geänderten Fassung möglicherweise nicht erfülle. In diesem Falle müsse die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2, 3.3, 4.1 bis 4.3 und 5.1 des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen.

Auf Grundlage dessen habe die Revision der Klägerin keinen Erfolg. Den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge, sei die Beklagte nämlich in Ermangelung von Hinweisen, die darauf hindeuteten, dass möglicherweise die Anforderungen der Richtlinien 93/42/EWG nicht erfüllt seien, nicht verpflichtet, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen zu sichten.

Bewertung

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes setzt stringent die Antwort des Europäischen Gerichtshofes auf seine Vorlagefragen in seinem Urteil um. Zwar wird dadurch die Handhabung der Überwachung im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens ohne Durchführung unangemeldeter Inspektion, wenn dazu kein Anlass besteht, bestätigt. Jedoch ist dies hinsichtlich der Überwachung von Medizinprodukten eher bedenklich, da die Qualitätssicherung schließlich die Kernaufgabe dieser ist und die Qualität der Produkte letztlich direkten Einfluss auf das Leben und die Gesundheit der Konsumenten haben. Der Stelle könnten somit unangemeldete Inspektionen ohne konkrete Veranlassung unter Inkaufnahme eines höheren Organisationsaufwandes zugemutet werden.