Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.01.2017 – VI ZR 239/15

Hintergrund

Der Kläger war im Mai 2007 von einer Zecke gebissen worden. Im Oktober 2007 bekam er über Nacht starke Schmerzen im rechten Knie, weshalb er den beklagten Facharzt für Orthopädie aufsuchte. Der Beklagte diagnostizierte zunächst einen Reizzustand des Knies. Nach weiteren Untersuchungen bis März 2008 wurde, nachdem in einem von Kläger aufgesuchten Kniezentrum der entsprechende Verdacht geäußert worden war, festgestellt, dass der Kläger an einer Borreliose litt und die Infektion eine Arthritis in nahezu allen Körpergelenken ausgelöst hatte.

Mit Formularschreiben vom 15.12.2011 stellte der Kläger einen Schichtungsantrag bei der Schichtungsstelle für Arzthaftungsfragen der zuständigen Ärztekammer, der dort am 22.12.2011 einging. Mit Schreiben vom 11.04.2012 lehnte der Haftpflichtversicherer des Beklagten die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens mit der Begründung ab, Schadensersatzansprüche des Klägers seien bereits verjährt. Schließlich habe der Beklagte dem Schlichtungsverfahren erst im Februar 2012 und damit nach dem Eintritt der Verjährung zugestimmt. Ein Schlichtungsverfahren wurde daraufhin nicht durchgeführt.

Der Kläger nahm den Beklagten auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Er behauptete insbesondere, der Beklagte habe die Borreliose behandlungsfehlerhaft zu spät erkannt, weshalb eine Heilung nicht mehr möglich sei. Das Landgericht und das Oberlandesgericht wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück.

Gründe

Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht das Vorliegen eines Hemmungstatbestandes verneint hatte, waren rechtsfehlerhaft.
Anders als es meinte, wurde die Verjährung infolge des vom Kläger bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen eingereichten Güteantrags – rechtzeitig – gehemmt. Denn nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB der im Streitfall anwendbaren, bis zum 25.02.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F.) wird die Verjährung durch die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrags, bei der einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle oder, wenn die Parteien den Einigungsversuch einvernehmlich unternehmen, bei einer sonstigen Streitbeilegung betreibenden Gütestelle eingereicht ist, gehemmt.
Zutreffend war das Berufungsgericht zwar davon ausgegangen, dass der Eintritt der Verjährungshemmung im Streitfall grundsätzlich davon abhing, dass die Parteien den Einigungsversuch vor der Schlichtungsstelle einvernehmlich unternommen hatten. Anders als das es meinte, war jedoch entsprechen § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO vom Vorliegen eines solchen Einvernehmens auszugehen. Denn nach § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO in der im Streitfall maßgebenden, bis zum 31.03.2016 geltendes Fassung (im Folgenden: § 15a Abs. 3 S. 2 EGZPO a.F.) wird dieses Einvernehmen unwiderleglich vermutet, wenn der Verbraucher eine branchengebundene Gütestellte, eine Gütestelle der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer oder Innung angerufen hat. Die unwiderlegliche Vermutung des Einvernehmens nach § 15a Abs. 3 S. 3 EGZPO a.F. – vom Streitwert unabhängig – findet auch im Rahmen von § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F. Anwendung.

Zu den branchengebundenen Gütestellen gehören auch die Gutachter- und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern. Anders als das Berufungsgericht meinte, war für die Fragen nach dem Eintritt der Hemmungswirkung nicht von Bedeutung, dass der Haftpflichtversicherer des Beklagten die Durchführung des Schlichtungsverfahrens abgelehnt hatte. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F. erfordert ein entsprechendes Einvernehmen des hinter dem Schuldner stehenden Haftpflichtversicherers von vornherein nicht. Ob der Schlichtungsantrag nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle unzulässig oder unbegründet ist, ist für den Eintritt der Hemmungswirkung grundsätzlich unerheblich.

Bewertung

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zuzustimmen. Denn macht ein Patient gegen den ihn behandelnden Arzt Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle geltend, so setzt der Eintritt der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB a.F. – wie der Bundesgerichtshof richtigerweise konstatiert – nicht voraus, dass sich der Arzt oder der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer auf das Schlichtungsverfahren einlässt. Dies gilt auch dann, wenn ein Schlichtungsverfahren nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der Durchführung des Verfahrens zustimmen.