Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.6.2017 – 2 AZR 47/16

Hintergrund

Der Kläger war seit dem Jahr 1992 bei dem beklagten Land beschäftigt. Er hatte dort die Position eines Straßenwärters in der Landesbaubehörde Hessen Mobil. Im Frühjahr 2013 unterzog der Kläger sich einer stationären psychosomatischen Behandlung und wurde daraufhin als arbeitsunfähig für die Tätigkeit eines Straßenwärters entlassen. Schließlich stellte man den Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleich.

Ab Sommer 2013 nahm der Kläger an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) teil. In diesem Rahmen sprachen die Parteien in dem zweiten bEM-Gespräch über die zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers im Betrieb der Beklagten. Dabei machte der Kläger bestimmte Äußerungen, die von den anderen Teilnehmern als Drohung mit Selbstmord und Amok aufgefasst wurden. Es wurde die Polizei verständigt, die den Kläger mit seinem Einverständnis in die psychiatrische Ambulanz eines Klinikums brachte. Nach der dortigen Untersuchung kamen die tätigen Fachärzte zu dem Ergebnis, dass der Kläger sich glaubhaft von allen selbst- oder fremdgefährdenden Tendenzen distanzieren konnte.

Infolgedessen sprach die Beklagte am 11.9.2013 eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund aus, um das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger mit sofortiger Wirkung zu beenden.  Sie begründete ihr Vorgehen damit, dass der Kläger auf den Vorschlag, sich beruflich neu zu orientieren, sehr emotional reagiert und äußerst bedrohliche Äußerungen getätigt habe. Er soll gesagt haben, dass er sich umbringen oder Amok laufen wird, wenn er wieder als Straßenwärter arbeiten müsse. Damit habe er Druck auf die Beklagte ausüben wollen, um seine Ziele durchzusetzen. Der Kläger erhob hiergegen Kündigungsschutzklage, die jedoch vom Arbeitsgericht abgewiesen wurde. Die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht hatte Erfolg, das Urteil wurde jedoch von dem Bundesarbeitsgericht aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das LAG zurückverwiesen.

Gründe

Der Senat ist der Auffassung, dass die vom LAG angegebene Begründung nicht ausreiche, um eine wirksame außerordentliche Kündigung anzunehmen. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 34 Abs. 2 S. 1 TV-H, § 626 Abs. 1 BGB könne noch nicht bejaht werden. An sich kann eine Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers oder der Arbeitskollegen einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, wie das LAG richtig festgestellt hat. Mit solch einem Verhalten verletzt der Arbeitnehmer erheblich seine sich aus dem Arbeitsvertrag gemäß § 241 Abs. 2 BGB ergebenen Rücksichtnahmepflichten. Diese Nebenpflicht besteht nach der vertretenen Ansicht des BAG auch während der Phase der Wiedereingliederung, in welcher der Kläger sich zu der Zeit befand. Gleiches gilt für eine Selbstmorddrohung, auch diese kann ein Kündigungsgrund sein. Dies gilt erst Recht, wenn diese Drohung das Erreichen eines bestimmten eigenen Ziels bezweckt. Ob nun die Drohungen des Klägers auch als ernstlich zu beurteilen sind, muss erneut durch das LAG geklärt werden, weswegen die Sache dorthin zurückverwiesen wurde. Eine Drohung ist als ernstlich anzusehen, wenn die Äußerung nach ihrem sorgfältig ermittelten Erklärungsgehalt den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt. Ferner muss es der Drohende gerade wollen, dass der Adressat der Drohung diese ernst nimmt. Ob der Drohende seine Ankündigung auch verwirklichen kann und will, ist dagegen nicht von Bedeutung. Dadurch, dass der Kläger sich von den geäußerten Tendenzen glaubhaft distanzieren konnte, entfällt die Ernsthaftigkeit der Äußerung nicht automatisch. Auch der Zeitpunkt der Äußerung, während eines bEM, verringert die Bedeutung der Aussagen nicht. Insgesamt konnte demnach noch kein wichtiger Kündigungsgrund angenommen werden.

Bewertung                                                                                               

Das BAG ist zu dem richtigen Ergebnis gekommen, dass noch nicht feststeht, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung beendet worden ist. Es bedarf dazu vielmehr einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes durch das LAG, ob eine ernstliche Drohung seitens des Klägers mit Selbstmord und Gefahren für Leib und Leben seiner Kollegen vorlag. An dem Zeitpunkt der Drohung während des bEM kann ein wichtiger Kündigungsgrund jedenfalls nicht scheitern.