BGH, Urteil vom 3.11.2016, III ZR 286/15

Hintergrund

Die Beklagte begab sich am 3.9.2012 erstmals in Zahnärztliche Behandlung der Klägerin. Diese erstellte zwei Heil- und Kostenpläne. Ein Plan beinhaltete rein kassenzahnärztliche Leistungen (ohne Eigenanteil) während der andere Plan zusätzliche, zahnmedizinisch nicht notwendige Arbeiten (mehrflächige Keramikverblendung sowie eine keramikverblendete Krone mit Geschiebe als Halterung) vorsah und in der Anlage einen voraussichtlichen Eigenanteil in Höhe von 6.838,52€ auswies. Die Beklagte nahm, nach Hinweis einer Praxismitarbeiterin ihr Einverständnis zu der Behandlung schriftlich erklären zu müssen, die Pläne mit nach Hause und reichte sodann den Plan der den Eigenanteil beinhaltete bei ihrer Krankenkasse zwecks Genehmigung ein. Den mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Plan, bei dem jedoch die im Planformular und der beigefügten Anlage vorgesehene Unterschrift fehlte, gab sie an die Klägerin zurück. Dies wurde von den Praxismitarbeitern nicht bemerkt. Ab dem 21.11.2012 erbrachte die Klägerin die vereinbarten zahnprothetischen Leistungen und verlangte mit Rechnung von 31.12.2012 den Eigenanteil der Beklagten in Höhe von 3.860,30€. Die Beklagte erbrachte trotz Mahnung diese Zahlung nicht, woraufhin die Klägerin ihren Anspruch gerichtlich geltend machte.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 3.860,30€ verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebte die Klägerin die Wiederstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die zulässige Revision der Klägerin hat Erfolg. Das Urteil des Landgerichts wird aufgehoben.

Gründe

Im Rahmen der Berufung habe die Beklagte ausgeführt, dass die Klägerin die Bezahlung nicht fordern könne, zumal nach § 2 Abs. 3 S.1 und 2 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) die über das zahnmedizinisch notwendige Maß hinausgehende Leistungen und ihre Vergütung in einem Heil- und Kostenplan schriftlich vereinbart werden müssten. Eine solche Vereinbarung liege in Ermangelung beider Unterschriften nicht vor und sei somit formnichtig, § 125 S. 1 i.V.m. § 126 BGB. Weiter könne sich die Beklagte auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, berufen, da die Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung nicht zu einem untragbaren Ergebnis führe. So habe nämlich kein Notfall vorgelegen, der das Abwarten der Erbringung der erforderlichen Unterschrift unmöglich gemacht hätte. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien ebenfalls ausgeschlossen. Zweck der GOZ sei der Schutz des Zahlungspflichtigen vor einer übereilten Bindung wegen der Risiken einer Hororarvereinbarung. Dieser würde im Falle der Zubilligung von Bereicherungsansprüchen verfehlt, da dies dem Zahnarzt, der eine formunwirksame Honorarvereinbarung abgeschlossen habe, ermöglichte wirtschaftlich dasselbe Ergebnis zu erzielen. Zudem sei die Leistung nicht ohne Rechtsgrund erfolgt, da lediglich die Honorarvereinbarung nicht aber der Behandlungsvertrag nichtig war. Dieses Vorbringen hält den Angriffen der Revision nicht stand.

Nach den nicht beanstandeten Feststellungen der Vorinstanzen sei zwischen den Parteien zumindest konkludent durch die Durchführung der Behandlung auf Grundlage des ausgewählten Heil- und Kostenplans ein zahnärztlicher Behandlungsvertrag zustande gekommen. Dem Berufungsgericht sei zuzugeben, dass die Parteien aufgrund des Formmangels, § 2 Abs. 3 S.1 GOZ, § 125 S.1 iVm § 126 Abs. 2 S. 1 BGB keine wirksame Honorarvereinbarung geschlossen hätten.

Die Berufung der Beklagten auf die Formunwirksamkeit des Heil- und Kostenplans verstoße aber gegen Treu und Glauben, § 242 BGB. Der Formmangel eines Rechtsgeschäfts sei nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich. Da Formvorschriften aus Gründen der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden dürften, seien Ausnahmen nur zulässig, wenn es nach den Beziehungen der Parteien und den Gesamtumständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das Rechtsgeschäft am Formmangel scheitern zu lassen und dies für die betroffene Partei ein schlechthin untragbares Ergebnis darstellen würde. Als Ausnahmen anerkannt seien die Existenzgefährdung des einen Teils und die schwere Treuepflichtverletzung des anderen Teils. Eine solche sei regelmäßig anzunehmen, wenn eine Partei in schwerwiegender Weise gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen habe, etwa dadurch, dass sie die Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung verweigere, nachdem sie über längere Zeit die Vorteile aus der formunwirksamen Vereinbarung in Anspruch genommen habe. Letzteres sei vorliegend der Fall. Die umfassend aufgeklärte Beklagte habe sich bewusst für die teurere Behandlungsalternative entschieden und dementsprechend auch den zugehörigen Heil- und Kostenplan bei ihrer Krankenversicherung eingereicht und sodann in der Praxis der Klägerin vorgelegt. Erst nach Behandlungsabschluss habe sich die Beklagte auf die Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses berufen. Hinzutritt, dass die aus Albanien stammende aber seit 1994 in Deutschland lebende Beklagte die erbetenen Unterschriftsleistungen lediglich deshalb zurückgestellt hätte, weil sie den – ihr bereits verständlich erklärten- Heil- und Kostenplan nochmals übersetzen lassen wollte. Das Verhalten der Beklagten sei als in hohem Maße widersprüchlich und treuwidrig einzustufen, so dass sie sich nicht auf die Formnichtigkeit berufen könne.

Das Vertrauen der Klägerin auf die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung sei auch schutzwürdig, zumal die Unkenntnis lediglich auf einem schlichten Büroversehen der Praxismitarbeiter beruhte und diese den Mangel weder kannten, noch infolge grober Fahrlässigkeit verborgen blieb. Zudem könne das schlichte Büroversehen keine grobe Fahrlässigkeit begründen.

Die Annahme eines untragbaren Ergebnisses und somit die Nichtberücksichtigung des Formmangels wäre zu verneinen, wenn der bei einem nichtigen Vertrag bestehende Rechtsschutz, wie etwa Ansprüche aus culpa in contrahendo, Geschäftsführung ohne Auftrag oder § 812 BGB, die berechtigten Interessen der schutzwürdigen Partei ausreichend sicherte. Dies sei jedoch bei einem etwaigen Schadensersatzanspruch aus § 280 I iVm § 311 Abs. 2 BGB nicht der Fall, da die Klägerin nur ihr negatives Interesse ersetzt verlangen könnte. Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung und der Geschäftsführung ohne Auftrag stehe der Schutzzweck der Formvorschrift des § 2 Abs. 3 S.1 GOZ entgegen, welcher durch die Notwendigkeit der Vereinbarung eines schriftlichen Heil- und Kostenplans dem Bedürfnis des Zahlungspflichtigen nach Information über die voraussichtlich entstehenden Kosten und damit der Transparenz und dem Patientenschutz Rechnung tragen solle. Dieser Schutzzweck würde durch die Gewährung von derartigen Ansprüchen unterlaufen.

Bewertung

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist zuzustimmen. Das Urteil bestätigt die durch ständige Rechtsprechung geschaffenen Ausnahmen von der Formnichtigkeit anhand des Grundsatzes von Treu und Glauben. Es zeigt die praktische Anwendbarkeit des § 242 BGB für flexible und einzelfallgerechte Lösungen im Wirtschaftsverkehr auf, der ansonsten durch die starre Beachtung von Formvorschriften entschleunigt und erschwert würde.  Aufgrund der im Rahmen der Fallgruppe besonders schwerwiegenden Treupflichtverletzung getroffenen Abwägung ist das Urteil hinsichtlich der beidseitigen Interessen billig.